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Das Vieh des Riesen verteilten die Bauern als billige Entschädigung
für das erlittene Unrecht; zweien der Quellen gaben sie Namen: die
am Buchkopf fließt unterhalb ihres Austritts durch murigen Grund,
sie ist Murbrunnen geheißen; der anderen Wasser ist immer klar,
sie ist Schönbrunnen genannt. Die Triften aber, die einst des Riesen
Herden nährten, sind heute öd, nur karges Heidekraut und Wacholder
halten sich auf den Hängen, und wüste Trümmer decken den
von den Menschen gemiedenen Ort, da der Riese sein Weib erschlug
und selbst zu Tode kam. —
Die erste Sage, die von des Immensteins Entstehung kündet, vermeidet
, ihm einen Namen zu geben, wiewohl sie die beiden anderen
mit solchen belegt; die zweite zeigt das Bestreben, Ihmes Namen zu
verschweigen, ob er gleich den Erzählern geläufig ist. Doch fiel mir
dies erst auf, da ich die beiden Sagen aufzeichnete, und als durch
den Verlauf meines Studiums mein Interesse am Immenstein in bestimmte
Richtung gelenkt wurde: Bei einem neuerlichen Besuche
des Immensteins fiel mir an einer Stelle sonderbar gehäuftes Gerölle
auf, das ich nach Abräumung einer größeren Anzahl schwererer
Brocken als künstlich aufgeschichtet erkannte, denn da und dort
waren Ansätze zu geregeltem Mauerverband zu erkennen, wie sie
entstehen, wenn der Ordnung gewohnte Menschenhand Zufälligkeit
vorzutäuschen unternimmt. Gewißheit darüber, was die Schüttung
decken sollte, hätte nur die vollständige Wegräumung der umfänglichen
Steinmasse ergeben, allein dazu fehlten mir die Mittel, überdies
war ich überzeugt, daß kein einziger Mann in der Umgegend
sich von mir zu diesem Zwecke hätte anwerben lassen. Ob der Versuch
, zunächst durch vorsichtige Umfrage im Gebiet des Immensteins
Wesentliches zu erfahren, bevor ich in die Archive ging,
sich lohnte, war fraglich, doch hielt ich ihn gleichwohl für unerläßlich
. Das Ergebnis meines Mühens war dem Umfange nach dürftig
, der Inhalt jedoch bestimmte mich, die archivalischen Nachforschungen
unverweilt aufzunehmen: Die vom Murbrunnen, vom
Buchkopf, von der Steckenhalt wahrten vor meinem schürfenden
Fragen in ängstlicher Scheu, die vom Schönbrunnen wahrten in
merkbarem Trotz ein Wissen um den Immenstein, den sie jedoch
nicht also nannten, sie sprachen vielmehr nur vom „Stein", und der
war nicht der Löchstein. Dieses Wissen ging um eine Überlieferung
aus der vorchristlichen Zeit im Schönbrunnen, sie war lebendig geblieben
durch ein Jahrtausend, denn noch ums Jahr 800 n. Chr. waren
die Toten aus dem Schönbrunn im „Schelmenloch" des Murbachtales
in ungeweihter Erde, weil sie den Göttern trotzige Treue hiel-
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