http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1957/0061
Nun mag man vielleicht vermuten, solche Bettler-Ordnungen und die Einrichtung
von Bettelvögten seien eine typisch mittelalterliche Form der allgemeinen
Armenfürsorge gewesen, die dann in den Jahrhunderten der Neuzeit verschwunden
ist. Dem war keineswegs so. Nachdem einmal der Staat und insbesondere die
Gemeinden sich auf dies Gebiet begeben hatten, in dem sie zugleich hiermit die
alte kirchliche Caritas säkularisierten, trat diese, in ihrer Art im Mittelalter ebenfalls
sorgfältig organisierte Fürsorge mehr und mehr in den Hintergrund. Das
galt im besonderen in den evangelischen Landesteilen, in denen es ja auch nun
keine Klöster mehr gab, die einst weitgehend Armenfürsorge und zumal Bettlerspeisung
geübt hatten.
Das alles kam nicht von ungefähr. Man darf diese Entwicklung sogar aus Ursachen
heraus begründet sehen, die sehr tief lagern. Die theologische Streitfrage
um „das gute Werk", um die gute Tat, die nach katholischer Auffassung eine
wesentliche Voraussetzung war, um das Seelenheil zu erlangen, spielt hier mit
herein — dafür gibt es in mittelalterlichen Stiftungsurkunden unzählige, sogar zu
festen Formeln erstarrte Beweise. Das „gute Werk" verlor an Gewicht — innerhalb
der protestantischen Theologie fand es auf jeden Fall eine andere Wertung.
Es würde zu weit führen, diese geistigen Unterströmungen hier zu behandeln, sie
seien nur angedeutet, weil zweifellos auch aus solchen, anscheinend fernliegenden
Ursachen der Strukturwandel in der allgemeinen Fürsorge mitbestimmt wurde.
Tatsache blieb in jedem Fall die Armut, das Bettelwesen, die Notwendigkeit,
den Armen und Notleidenden aus öffentlichen Mitteln zu helfen. Und so finden
wir auch noch im 18. Jahrhundert und bis weit in das 19. hinein immer wieder
neue Almosen-Ordnungen. Hierzu noch ein letztes Beispiel, diesmal aus der Markgrafschaft
Baden-Durlach vom Anfang des 18. Jahrhunderts, ein Beispiel, das zugleich
einige kulturgeschichtlich aufschlußreiche Hinweise gibt.
So sollten nach der damaligen Almosen-Ordnung „ein bettelnder Kavalier"
oder „eine Dame" 15 Kreuzer erhalten. Ein Offizier war als Almosenempfänger
nur noch 12 Kreuzer wert — immerhin noch mehr als ein Pfarrer, der sich mit
10 Kreuzern begnügen mußte. Selbstverständlich stand dann ein Schulmeister noch
geringer im Kurs der öffentlichen Wohlfahrt, er erhielt 6 Kreuzer, etwas mehr
aber doch als ein Student, der mit 5 Kreuzern zu bedenken war. Besonders interessant
ist, daß in dieser Durlachischen Almosenverordnung auch „gefangene
Türken" aufgezählt werden. Man darf annehmen, daß es sich dabei um Leute
handelte, die der Türkenlouis vom Balkan mitgebracht hatte und die dann aus
der Baden-Badener Zwangsarbeit entwichen und über die nahe Grenze ins Durlachische
kamen, wo sie sich bettelnd herumtrieben.
Am schlimmsten waren freilich in der seit dem Beginn der Reformationszeit
gut protestantischen Markgrafschaft Baden-Durlach die „Bettelmönche, Stationierer
und Papisten" dran; bei ihnen heißt es in der Liste: „Bekommt nichts!" Es müßte
denn sein, besagte Ketzer wären „vom Papsttum oder Judentum Übergetretene"
— dann stiegen sie im Wert, sehr hoch sogar. Denn da waren sie einem bettelnden
lutherischen Pfarrer gleichgestellt und hatten Anspruch auf eine Unterstützung
von 10 Kreuzern aus der Almosenkasse.
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