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wälzung: die Trennung der Justiz von der Verwaltung in der untersten Instanz.
Der 1. September 1857 ist der Geburtstag des Amtsgerichts
Ettenheim. Nach der VO vom 18. Juli 1857 wird nunmehr die
Rechtspflege der Ämter von selbständigen Amtsgerichten ausgeübt und
erhalten die bisher mit der Verwaltung der Justiz beauftragten Beamten den
Titel Amtsrichter.
Merkwürdigerweise — mindestens vom heutigen Standpunkt aus — behielten
die Ämter dagegen alle ihre Zuständigkeiten rechtspolizeilicher Art, d. h. der
sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit. Diese Geschäfte wurden von den sogenannten
Amtsrevisoraten besorgt, die einen Teil des Amtes bildeten.
Diesen waren sogenannte Distriktsnotare beigegeben, deren Zuständigkeit
in einer VO vom 25. November 1841 abgegrenzt war. In die Zuständigkeit
dieser Stellen fielen die Fertigung gewisser Verträge, z. B. Schenkungen unter
Lebenden, aller öffentlichen Urkunden, von Heiratsverträgen, Kauf- und Tauschbriefen
, die Vornahme von Versteigerungen, Verpfründungen, Pfandverschreibungen
, die Fertigung öffentlicher Testamente, die Aufnahme von Obsignationen und
Inventuren sowie die Vornahme von Teilungen und Vermögensübergaben.
III.
Eine durchgreifende Reform erfuhr das badische Justizwesen durch das Gesetz
vom 19. Mai 1864. Diese Reform brachte für Strafsachen die Schöffengerichte
ungefähr in der Form und mit der Zuständigkeit wie in der späteren
Reichsgesetzgebung von 1879. Verwaltungsrechtlich waren an Stelle der 4 Kreise
11 Kreise als Selbstverwaltungskörper getreten mit Sitz in Konstanz, Villingen,
Waldshut, Freiburg, Lörrach, Offenburg, Baden-Baden, Karlsruhe, Mannheim,
Heidelberg und Mosbach. Dementsprechend wurden 11 Kreisgerichte als mittlere
Instanz geschaffen, wobei die 4 früheren Hofgerichte die Bezeichnung „Kreis-
und Hofgericht" erhielten. Die badische Gerichtsverfassung und Prozeßgesetzgebung
des Jahres 1864 weist schon manche Grundsätze und Einrichtungen auf,
wie sie in der Reichsgesetzgebung des Jahres 1879 in Erscheinung treten.
Mit das Wichtigste an der Reform des Jahres 1864 aber war, daß sie den
Ämtern die freiwillige Gerichtsbarkeit entzog und diese teils den Amtsgerichten,
teils sogenannten Gerichtsnotaren übertrug, die neben den oben schon
erwähnten Distriktsnotaren fungierten. Letztere hatten je für ihren Distrikt die
Fertigung von öffentlichen Urkunden, die Anlegung und Abnahme von Siegeln,
die Aufnahme von Vermögensverzeichnissen, die Teilungen und Vermögensübergaben
zu besorgen. — Die Reform von 1864 trat am 1. Oktober 1864 in Kraft.
IV.
Die badische Gesetzgebung von 1864 wurde nach genau 15jährigem Bestehen
abgelöst von den auf 1. Oktober 1879 in Wirksamkeit getretenen Reichsjustiz-
gesetzen (Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozeßordnung, Strafprozeßordnung,
Konkursordnung). Seit 1. Oktober 1879 konnten Gerichtsnotare nicht mehr ernannt
werden, sie verschwanden im Laufe der 1890er Jahre.
7 Die Ortenau
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