http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1959/0052
gewesen sei. Die Bannherren wollen es dahin verlegen, was aber die „arme Leüt"
nicht zugeben wollen. In einem Gemeindebericht von 1611wird über die schon
länger vollzogene Verlegung des Gerichts nach Marlen geklagt.
In alter Zeit hielt man die Gerichte unter der Dorflinde ab. Nachdem aber die
Gemeinde 1616 die Herberge zu Goldscheuer gekauft hatte, wurden die Gerichtsund
Amtshandlungen in der Wirtsstube vorgenommen.
Uber die Befugnisse des Dorfgerichtes sagt das Ortenberger Urbar von 1559:
„Im Namen der Herrschaft hat ein Schultheiß mitsamt den Vierleut zu Marlen
die Untergäng (Besichtigung der Banngrenze), die Feldmesserei und die Setzung
der Marksteine vorzunehmen. Item hat ein Schultheiß und Vierleut die Güter
und Zins zu erneuern. Item hat ein Schultheiß mit Wissen der Obrigkeit Bürger
und Hintersassen anzunehmen." Das Ortsgericht mietete alljährlich am Jahresschluß
die Gemeindehirten, erwählte die Schulhalter, Heimburgen (Rechner),
Kirchenrüger und Bannwarte. Nach alten Einungen sprach es über leichte Frevel
die Rügungen (Strafe) aus. „Item des Schultheißen Besoldung ist von jedem Frevel
2 Schilling und wann er einen fürbieth 2 Pfennig."
Im 18. Jahrhundert beträgt die Jahresbesoldung des Schultheißen 10 fl. Gegen
Ende dieses Jahrhunderts enthalten die Gemeinderechnungen umfangreiche Kostenberechnungen
über Zehrungen und Diäten von Schultheiß und Gerichtsleuten.
Damals sind bei wichtigen Gemeindeangelegenheiten beträchtliche Kosten daraufgegangen
, da meistens jedes Geschäft im Wirtshaus tüchtig mit Wein begossen
wurde.
Das Landgericht
Die österreichische Landvogtei Ortenau bestand aus den vier Landgerichten
Achern, Appenweier, Griesheim und Ortenberg. Zu Achern zählte das Aftergericht
Ottersweier und zu Griesheim das von Zunsweier. Das Gericht Ortenberg umfaßte
die Stabsgemeinden Ortenberg, Zell und Goldscheuer. Bis zum Jahre 1620 war
das Dorf Müllen (früher Mühlenheim) dem Stabe Goldscheuer zugeteilt. Es wurde
dann von Erzherzog Leopold mit den jährlichen Einkünften dem Hans Reinhard
von Schauenburg und dessen Erben um 6000 fl. überlassen. Jedoch verblieben die
landesfürstlichen Hoheitsrechte und hohe Gerichtsbarkeit der Landvogtei. Im Jahre
1713 hatte Markgräfin Sibylle Auguste von Baden-Baden die Pfandschaft von
den Schleißischen Erben um 6000 fl. an sich gelöst.
Im Jahre 1727 betrug die Bürgerzahl in den einzelnen Gerichten: Ortenberg
531, Griesheim 349, Zunsweier 225, Appenweier 438, Achern 511, Ottersweier
etwa 400; die Gesamtzahl der Einwohner 11 400. Im Jahre 1801 betrug sie
18 776, wovon auf das Gericht Ortenberg 4379 entfielen, lauter Katholiken. Die
durchschnittliche Geburtenzahl betrug in allen Gerichten 900, Todesfälle 500,
Ehen 140.
Verwaltet wurde jedes Gericht von dem Vogt oder Amtmann. Er hatte in der
bürgerlichen Rechtspflege und in leichten Kriminalfällen Recht zu sprechen.
Den vier Gerichten stand der Landvogt, der ehemalige Reichsschultheiß, vor.
Seit 1688 wohnte er in dem Königshof zu Offenburg, wo er auch seine Kanzlei
50
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1959/0052