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Brief der Anna W o 1 f i n g e r , geb. Krausbeck, damals wohnhaft in Schopfheim
, an ihre Eltern Franz Joseph Krausbeck und Maria Anna Krausbeck, geb.
Straub in Wolfach, vom 18. August 1859. (Aus der Familien-Urkundensammlung
Josef Krausbeck, Wolfach.)
Schopfheim den 18. August 1859.
Liebe Eltern!
Ich kan nicht umhin Ihnen zu schreiben daß ich 3 Tage in Paris gewesen bin. Sie
werden sagen, haben die Leut so viel übrig Geld um solche große Reisen zu
machen? Nein übriges haben wir keines, aber wir benutzten die Gelegenheit die
sich darbot; nemlich es wurden ermäßigte Tax gemacht von allen Grenzort der
französischen Bahnen, so auch in Basel, u. da es so billig war, wollte mein Man
mich durchaus in die große Welt einführen, es kostete uns von Basel bis Paris a.
Person 20 franken hin und her, zusammen 40 fr, oder 18 fl 40 x, der Aufenthalt
war 3 Tage, kam uns mit Logie u. Zehrung auf 40 fl — das ist den auserordent-
lich billig nicht war; am lezten Freitag vor 8 Tagen reisten wir ab, bis Basel,
am Samstag früh 6 Uhr fuhren wir nach Paris am Sontag früh 7 Uhr waren wir
in Paris, also einen Tag u. eine Nacht giengs ununterbrochen „rene de Clesir"
(rien de plaisir? nichts von Vergnügen?) nach Paris.
Nun beginnt die Erzählung was wir sahen u. hörten.
1. Sähe wir 1 ¥• Million Menschen auf den Beinen alle Sorten, Schwarze, Wilde,
Türken, verwundete und Elende, glückliche u. unglückliche, den Kaiser u. Kaiserin,
der Einzug von den Truppen die er mitbrachte, alles konten wir den ersten Tag
mitansehen, das war eine Pracht u. Herrlichkeit, das Pariservolk lebt u. stirbt
für ihren Kaiser, die eroberten östreichische Fahnen, 4 bis 5 waren es, ganz zer-
fezt brachten sie sie mit, ich muß aufrichtig gestehen ich konte vor Wehmut das
Weinen nicht enthalten, u. so mag es noch manchem deutschen Patriot gegangen
sein bei diesem Anblick.
Da der Zug unendlich lange dauerte, so wollten wir die kurze Zeit noch zu andern
Sehenswürdigkeiten verwenden, wir gingen über den Puluar (boulevard)
zum Wahndungsplatz (Vendömeplatz?) um das Amphitheater das 20 000 Menschen
umfaßte u. wo der Kaiser mit Generalität u. hohen Personen sich versamel-
ten und das Militär vorüberzog, 72 000 Linnentruppen (Linientruppen), 24 000
Gard, u. noch viele Seegard (?) die letzteren waren von lauter Gold und Silber
kostemirt; der Kaiser u. Kaiserin saßen unter einem Goldenen Baldachin rings
herum Thryumpfbögen u. von hochrothen Seidensammet gepolsterte Bänke mit
goldenen Franzen eingefaßt, die Häuser waren überall aufs brachtvollste dekuriert
, 6stöckige Paläst mit goldenen Altanen, brachtvolle Stattie (Statuen), von
lauter Historischen Männer, von da giengen wir in den Tulleriegarten (Tuilerien)
u. zum kaiserlichen Palast, denken Sie sich etwas großartiges, man kan es aber
sich doch nicht denken, es übersteigt alle Begriff, wir giengen dan in die St. Magdalena
Kirche aber wie schön war es da wieder, ich mußte mehrere mal stehen
bleiben u. die Augen zudrücken, um die Wirklichkeit zu erkennen,
das u. noch vieles merkwürdiges dem ich jetzt keinen Namen geben kan haben
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