http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1960/0191
testantischen Markgrafen Johann Georg von Brandenburg, der den Titel Administrator
annahm, setzten die Katholiken den Kardinal Karl von Lothringen, Bischof von
Metz, entgegen. Der langjährige Kampf, den beide Prätendenten miteinander führten
und an dem zeitweilig auch Markgraf Ernst Friedrich von Baden-Durlach teilnahm,
spielte sich vornehmlich im Elsaß ab, zog aber auch die Ortenau in Mitleidenschaft.
Die rechtsrheinischen Besitzungen des Bistums waren in der Hand der Protestanten,
die sich dort manche Übergriffe erlaubten. Der Domherr Graf Ernst von Mansfeld
vertrieb 1595 die Mönche von Allerheiligen und ließ den Propst Peter Jehle gefangen
nach der elsässischen Burg Dachstein schleppen. Auch die Ettenheimer Benediktiner,
denen der aus Schwarzach vertriebene Abt Brunner als Prior aufgedrängt wurde,
suchten ihr Heil in der Flucht und weilten bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts
im Exil zu Riegel im Breisgau. Der Protestantismus fand jetzt allenthalben im
bischöflichen Gebiet Eingang, in Ettenheim und Wallburg besonders unter dem Einfluß
der Herren von Endingen, noch stärker im Amt Oberkirch durch die Herzöge
von Württemberg, welche die zerfahrenen Verhältnisse benutzten, um durch Verträge
mit dem katholischen Bischof wie mit dem protestantischen Administrator den
Pfandbesitz der Renchtaler Besitzungen zu erlangen. Sogleich nach der Huldigung
im Jahre 1604 führte der Herzog in der Oberkircher Schloßkapelle den evangelischen
Kult ein, vier Jahre später fiel der Stadtpfarrer Barthelmes vom katholischen
Glauben ab; in Griesbach wurde 1612, in Oppenau wenig später der evangelische
Gottesdienst eingeführt. Im Verlauf der württembergischen Pfandherrschaft, die mit
kurzer Unterbrechung über ein halbes Jahrhundert währte, trat dann die Mehrzahl
der Untertanen zum Protestantismus42) über.
Ein Rückblick auf den verwirrenden Wechsel, dem die kirchlichen und politischen
Schicksale der Ortenau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unterworfen
waren, zeigt zur Genüge, daß der Religionsfriede, der die Religion der Untertanen
von der des Landesherrn abhängig machte, seinen Namen sehr zu Unrecht trug und
unzerstörbare Keime neuer Mißhelligkeiten und Zerwürfnisse in sich barg. Auch er
war nur ein Interim, das über kurz oder lang von den Tatsachen über den Haufen
geworfen werden mußte. Jede vormundschaftliche Regierung, jede Pfandherrschaft,
jede Laune eines Landesherrn konnte unvermutet das Bestehende in Frage stellen.
Man muß sich nur den verworrenen Zustand des Straßburger Bistums vor Augen
halten, der jede geordnete geistliche und weltliche Verwaltung unmöglich machte,
oder die absurde Tatsache, daß allein in der Markgrafschaft Baden im Verlauf eines
knappen Jahrhunderts die Religion nicht weniger als siebenmal gewechselt hatte,
um zu erkennen, daß auf diese Weise eine dauernde Befriedung, eine stetige Entwicklung
nicht nur der Kirche, sondern überhaupt der menschlichen Kultur unmöglich
war. Das Problem des Nebeneinanderlebens der beiden Konfessionen ist
wie alle großen Menschheitsfragen nicht auf dem Wege friedlicher Vereinbarung
gelöst worden. Die längst unzerreißbar gewordene Verbindung des religiösen Lebens
mit den politischen Verhältnissen bedingte es, daß das deutsche Volk ein Meer von
42) Diese aus der evangelischen Kirchengeschichte von Vierordt übernommenen Angaben bedürfen einer
gewissen Einschränkung. Vgl. jetzt die Untersuchung von Manfred Eimer, Die angebliche Reformierung des
Amtes Oberkirch durch 'Württemberg (1604 ff.). In: „Ortenau" 19 (1932), S. 172—182.
188
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1960/0191