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Das Salzwässerle
Oft und oft hatte ich bei abendlichen Spaziergängen an der Stelle, da das „Salzwässerle
" die Landstraße zwischen Bühl und Ottersweier unterkreuzt, verweilt,
den lautlosen Lauf des Bächleins zu betrachten und über die Herkunft der immerhin
eigenartigen Namensgebung zu sinnen. Als vor Tagen das Heu von den Wiesen
geräumt war, schritt ich dem Wässerlein entlang zu Berg. So heiter aber sonst sein
wellenloser Spiegel in der Sonne geglitzert hatte, so sorgenvoll war jetzt sein
Antlitz gefaltet, und zornige Wellchen klatschten an das Ufer, an dem entlang ich
ging. Höher und lauter wurden die Spritzer, es war, als riefen sie mich. Ich hemmte
meine Schritte und neigte mein Ohr den Lauten entgegen, konnte aber keinen Sinn
in ihnen finden: „Un . . . Un . . . Un . . .!"
„Du mußt schon deutlicher werden, mein Wässerlein, wenn ich dich verstehen
soll!" Also sprach ich und gelangte an eine Stelle, da das Wässerlein über eine
Schwelle fiel.
„Un . . . Unr . . . Un . . . cht!" kollerte es mir entgegen. Ich ließ mich nieder und
frug nochmals: „Was also, mein Wässerlein, bedrückt dich denn?"
Unwirsch, doch klarer denn zuvor kam Antwort: „Auch du, von dem ich Verständnis
erwartete, nennst mich kränkend ,Wässerle'! Das ist Unrecht von euch
Menschen. Geringere, als ich bin, graduiert ihr wenigstens als ,Bächlein', mich aber
deklassiert ihr zum ,Wässerle'. Das allein schon ist Unrecht. Unrecht auch ist es,
mir den Salzgehalt vorzuwerfen. Hätte ich der Minutenliter nur wenige mehr, so
wäre ich geachtete Heilquelle gleich der von Hub und denen von Baden-Baden,
so aber verströmt mein Naß nutz- und kraftlos unter dem Gespött der Welt!"
Hm, dachte ich. Ein kurioser Fall. „Hör' mich einmal an, kleiner Bach! Deine
Schwester in Rappenau hat in ihrer Schüttung — sie ist um ein Tausendfältiges
ergiebiger als du — so viel Salzgehalt, daß sie außer als Bad auch als Saline genutzt
wird. Vergleiche dagegen deine wenigen Mäßlein, die du pro Minute ans Licht
zu fördern vermagst, darin nur 0,05 vom Hundert an Salz gelöst sind; ist nicht deine
Schwester eine Riesin gegen dich? Aber noch etwas mangelt dir — der Quellgeist!
Du schaust mich zweifelnd an, aber ein Mythos ist dieser Geist nicht: Die wissenschaftlich
festgestellten chemisch und physikalisch wirkenden Kräfte des Huber
Brunnens und noch mehr der Thermen von Baden-Baden werden verstärkt durch einen
noch unerforschten Bestandteil, der, obwohl wahrscheinlich nur in Spuren auftretend
, seinem Wesen nach in der an den ersten Badegästen beobachteten und in dei
Folge von den weiter zuströmenden Heilbedürftigen nunmehr vertrauend erwarteten
Wirkung zum wenigsten mitbestimmend sein muß. Ob dieser — sogar ärztlicherseits
anerkannte — ,Brunnengeist" deinen geringen Salzgehalt therapeutisch
zu beeinflussen vermöchte, darf bezweifelt werden. Im übrigen scheint mir, die
Baden-Badener Thermengeister sind im Begriff, den Brunnengeist der Hub niederzuringen
, da käme dein Geistlein — vorausgesetzt, du hättest eines — schon gar
nicht auf. Und die Huber Quelle, wissend, daß ihr Kampf, lediglich mit ihren
materiellen Kräften geführt, aussichtslos ist, läßt in ihrer Schüttung erheblich nach,
in absehbarer Zeit wird das Bad seine Pforten schließen. Was, kleiner Bach, ist
schwerer: bescheidenes, doch gesichertes Dasein, oder . . .?"
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