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erfüllt sei, die die Zeichen der Weihnacht nicht um ihre Wirkung bringe, weil sie
schon Wochen vor dem Fest an jeder Straßenecke — aus rein wirtschaftlichen
Zwecken — zu sehen seien. Und ganz allgemein äußern Gäste, die kurz oder für
länger in Gengenbach sich aufhalten, daß es eine Stadt wie Gengenbach gebe, die
sich in der Nacht lediglich auf die übliche Straßenbeleuchtung beschränke, empfänden
sie als Wohltat, als — Erlebnis.
Vielleicht wird der eine oder andere Leser bei sich denken oder es auch aussprechen
, Gengenbach habe im Schreiber dieser Zeilen einen rattenfängerischen
Lobpreiser gefunden. Gegenüber einer Meinung solcher Art kann ich mit reinem
Gewissen erklären, daß ich zwar über den in diesen Zeilen geschilderten „Stand
der Dinge" in Gengenbach hocherfreut bin, daß ich mich aber nicht scheuen würde,
vom Leder zu ziehen, wenn Gengenbach nicht wirklich eine Hüterin der Schönheit
wäre, die es doch nun einmal darzubieten hat. Im übrigen mag man mir, der ich
in Gengenbach zum alten Mann geworden bin — der aber „jung" geblieben ist —,
erlauben, hier noch einmal aussprechen zu dürfen, was ich schon im Buch „Gengenbach
, Vergangenheit und Gegenwart", sorgsam und als unvergleichlich wertvolle
Gabe von Paul Schaaf herausgegeben, gesagt habe: Ein halbes Jahrhundert bin ich
im Landschaftsschutz und in der Denkmalpflege tätig. Wer die vielfach dornenreichen
Wege kennt, die ein Landschafts- und Denkmalschützer in den letzten fünf
Jahrzehnten häufig genug zu meistern hatte, wird gewiß verstehen, daß mein acht-
undsiebzigjähriges Herz höher schlägt, wenn ich an das in Gengenbach während
dieser fünfzig Jahre und zumal in der jüngsten Zeit Erreichte denke. Darf ich es
nicht als besonders beglückend empfinden, daß viele Wünsche und Forderungen,
die sich anderwärts nicht oder nur teilweise haben erfüllen lassen, in Gengenbach
zur Verwirklichung gebracht werden konnten? Wenn ich nach einem recht wechselvollen
Leben das ehemalige freie Reichsstädtlein in des Wortes bestem Sinne als
Wahlheimat empfinde, von der ich mich nur trennen möchte, wenn meine Zeit
überhaupt abgelaufen ist, so vor allem, ja, ausschließlich deshalb, weil Gengenbach
von sich sagen kann, in ihm seien Denkmalschutz und Pflege des Stadtbilds zu
vorbildlichster Entwicklung gediehen, zu einem gern, bewußt und freudig geübten
Brauch geworden.
Und dann noch einmal dies: Es erscheint mir, als gehöre die „Angewandte Geschichtskunde
" — um sie geht es in Gengenbach! — zu den wichtigsten Aufgaben
des „Historischen Vereins für Mittelbaden" in der Gegenwart. Welche Stadt,
welches Städtlein, welches Dorf läßt sich denken, auf dessen Rathaus man nicht
froh wäre, bei der Behandlung heimatschützerischer Aufgaben auf berufene Mitwirkung
von Mitgliedern unserer Vereinigung sich stützen zu können! Und es ist
doch an dem, daß vielfach auch bisher unberührte Dorfwelt zerstört wird, weil
Eingriffe zuchtloser Reklame und verfehlte bauliche Unternehmungen nicht abgewehrt
werden. Kurz, widmen wir uns der „Angewandten Geschichtskunde" mit
aller Hingabe! Ob wir so bei der Jugend mehr Anklang finden werden, wage ich
nicht mit Bestimmtheit zu sagen, hoffe aber, daß es der Fall sein wird. Von
Gengenbach jedenfalls kann ich versichern, daß viele junge Leute über das gepflegte
Stadtbild nicht selten besonders betont ihre Freude äußern!
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