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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
43. Jahresband.1963
Seite: 221
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Widmann in jenen fast zwei Jahrzehnten seine ganze Kraft — neben den Vorlesungen
— dieser besonderen praktischen ärztlichen und verwaltenden Tätigkeit zu.

Man darf die Bedeutung der Siechenhäuser in den Jahrhunderten, da der Aussatz
eine Volksplage war, nicht unterschätzen. Sie waren der Versuch, durch staatliche
oder städtischen Maßnahmen eine Gesundheitspolitik zu betreiben, die in Form
einer völligen Kasernierung der Aussätzigen, ihre Aussonderung aus dem so
entwickelten Gemeinschaftsleben des Mittelalters zum Ziele hatte. Hierdurch
sollten weitgehend die Gefahren der Ansteckung ausgeschaltet werden. Insofern
haben wir in der Gründung solcher Häuser eine der ersten sozialhygienischen
Maßnahmen auf breiter öffentlicher Ebene. Denn es ging dabei um Maßnahmen,
die nur mit Hilfe der öffentlichen Gewalt, durch gesundheitspolizeiliche Verordnungen
und Zugriffe durchzuführen waren. Es ist kaum zuviel gesagt, wenn man
Johannes Widmann als einen der ersten, wenn nicht in der Gesamtheit seines
Wirkens als den ersten deutschen Sozialhygieniker bezeichnet.

In diesem Zusammenhang muß einiges über die allgemeine Bedeutung der
Leprosenhäuser, der Gutleuthäuser, der Häuser der Feldsiechen, die drei gebräuchlichsten
Bezeichnungen, gesagt werden. Sie waren gewissermaßen die ersten Spezial-
krankenhäuser des Abendlandes. Das mittelalterliche Spital trug mehr den Charakter
einer Versorgungsanstalt, eines Altersheimes, zum Teil auch eines Alterspflegeheimes
als den eines Krankenhauses. In einem Gutleuthaus aber wurden nur
Kranke aufgenommen, und als nach den Kreuzzügen der Aussatz epidemische
Formen annahm, wurden sie zu hygienischen Kasernen.

Es gab zum Beispiel im heutigen Baden-Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert
keine Stadt, die nicht mindestens ein Leprosorium besaß, Konstanz zählte
sogar deren vier, und selbst in den größeren Dörfern gab es sie: man kann sich ein
Bild von der Verbreitung dieser Seuche machen. Die folgenden allgemeinen Ausführungen
gelten demnach auch für alle Gemeinden in Mittelbaden, in deren Ortsgeschichte
ein solches Gutleuthaus überliefert ist. Die Siechenhäuser lagen außerhalb
der Stadt für sich; so auch das Baden-Badener St. Nicolai ad leprosorium. Es
war nun eine sozialmcdizinische und sozialhygienische Aufgabe des Rates jeder
Stadt, sich um die Aussätzigen besonders und von amtswegen zu kümmern. Die
ärztliche Überwachung der Seuchengefahr war dem Stadtarzt übertragen. Er hatte die
Pflicht, durch eine „Aussatzschau" bei den verdächtigen Kranken eine Absonderung
anzuordnen; das geschah dann durch Einweisung in ein Leprosenheim, in ein Feldsiechenhaus
. Unterstützt wurde der Amtsarzt dabei durch Wundärzte, durch
Scherer: in der Anstellungsurkunde Widmanns als Leibarzt beim Markgraf eh ist
auch von dieser Pflicht die Rede gewesen.

In besonderen Verordnungen seitens der Regierung oder des Rates waren die
Methoden der Krankheitsfeststellung genau umschrieben: im ganzen wurden
21 Merkmale angeführt; wesentlich waren dabei Urin- und Blutuntersuchungen.
Eine seltsame Verpflichtung bestand darin, daß zu diesen Untersuchungen auch
Insassen der Leprosenhäuser herangezogen wurden; vermutlich traute man ihnen
eine besonders gute, erfahrungsmäßige Kenntnis der Symptome im Frühstadium
zu. Eine Art diagnostischer Berühmtheit scheint das Siechenhaus zu Konstanz be-

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