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haben sich in der Bibel erhalten, z. B. wenn es bei Johannes 6, 15 heißt, daß die
Zuhörer den Heiland fortführen wollten, um ihn zum König zu machen.
Diese alte Weissagung, wie wir sie nennen wollen, wurde mündlich weitergeredet
. Aber zuweilen kann man den übergewaltigen Eindruck, den sie oft auf
die Menschen machte, daran erkennen, daß sie von Schriftverständigen, also
in früheren Zeiten stets Gelehrten, aufgeschrieben wurde.
Die älteste uns noch erhaltene Aufzeichnung stammt aus dem 5. Jahrhundert
n. Chr., bezeichnet als Worte Merlins, eines ebenso sagenhaften Namens wie der
der erythräischen Sibylle. In den Jahrhunderten des Mittelalters trägt die Sagung
abwechselnd einen dieser beiden Namen oder den des Joachim von Fiore als
Urheber und Gewährsmann, bis auch sie den Weitererzählenden so nichtssagend
waren, daß sie ganz wegblieben.
Erobern wird der Held die ganze Erde und mit Macht herrschen von Pol zu
Pol. Dann sind für die Menschen die Tage des Heils gekommen. Das Drum und
Dran war inzwischen für die sehnsuchtsvoll wartenden Menschen unverständlich
geworden und wurde daher weggelassen. Zuweilen wurden neue Züge hinzugefügt
. Durch die Bezeichnung Prophetie der erythräischen Sibylle ist auch weiterhin
der Zusammenhang zu erkennen. Ferner sind die Hauptgrundgedanken stets gleich.
Am stärksten hat die große Sagung die Menschen in der Endzeit der gewaltigen
Stauferkaiser und im Ausgang der Stauferzeit überhaupt gepackt. Der dritte
Friedrich sollte der Erwartete sein. Als der letzte Stauferkaiser Friedrich IL 1250
im besten Alter gestorben war, zeigte sich das Weiterwuchern der Prophetie in
einem seltsamen Gedankengang. Da der 3. Friedrich der große Welt- und
Friedenskaiser sein sollte, so ist der Kaiser gar nicht tot, sondern er kommt als der
dritte Friedrich wieder. Daran knüpft sich dann jenes geheimnisvolle Erscheinen
des alten Kaisers in Deutschland, bekannt in der Geschichte unter dem Namen
„Der falsche Friedrich". Nicht nur das Volk, sondern viele Mächtige, Fürsten und
Städte haben fest aufgrund der Sagung die Rückkunft des großen Kaisers für
gegeben gehalten.
Im 13. Jahrhundert war besonders die Insel Sizilien, ein Schnittpunkt abend-
und morgenländischer Kulturkreise, ein Hauptherd der alten Sagung, die jetzt
aber den Helden genauer festlegen will: Der kommende große Friedenskaiser
wird ein Friedrich sein. Er muß von Sizilien ausgehen. Nur wer nach dem Willen
der Sizilier die Herrschaft führt, wird der von den Menschen Ersehnte sein, ein
Sohn der Aquila (des Adlers, als Wappentier zu denken). Der Adler war das
glanzvolle Wappen der Stauferkaiser und ihrer Nachkommen. Diese alle treten
nunmehr in den Kreis der Prophetie ein. Man tippte allen Ernstes zuerst auf den
Wettiner Friedrich den Freidigen, der dieserhalb schon einen Heereszug nach
Italien vorbereitet hat mit einer tatsächlich bis Verona gekommenen Vorgesandtschaft
.
Die meisten und vor allem die lautesten Rufer erklärten Friedrich von Sizilien,
Nachkomme einer Tochter des Stauferkönigs Manfred von beiden Sizilien, für
den Kommenden. Bei diesem können wir nun wie nirgends sonst an Hand von
Urkunden und anderen Schriftsätzen sowie von hochpolitischen Handlungen er-
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