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neuer Hoffnungen und Pläne. Die Aufnahme in Straßburg ist sehr wohltuend, und
er schreibt darüber seiner Frau6):
„Die Leute gefallen mir ausnehmend hier; man ist so zuvorkommend gegen
mich und so teilnehmend, die Leute haben so viel politischen Takt und gesunden
Menschenverstand, und der Umgang ist so ungezwungen, offen und freundschaftlich
, daß ich hier in einer anderen Welt lebe."
Diese andere Welt sagt ihm derart zu, daß er dem in einem Brief vom Mai 1822
drastisch Ausdruck gibt:
„Ich sage Dir aber, daß ich hier lieber ein Käsekrämer als in Stuttgart Regierungsrat
sein mag ..."
Während List neben angestrengter Arbeit sich dem Pläneschmieden hingibt,
wobei er u. a. die Verlegung der Neckarzeitung, deren Mitherausgeber er ist, nach
Straßburg im Auge hat, spielt längst der Polizeiapparat. Bereits am 27. April
richtet der französische Innenminister de Corbiere an den Präfekten vom Niederrhein
ein Schreiben, in welchem dieser angewiesen wird, List sofort durch Gendarmerie
an die Grenze bringen zu lassen, falls sein Betragen die geringste Unruhe
erregen könnte. Zunächst scheint sich jedoch alles gut anzulassen, da der Präfekt
mit Schreiben vom 3. Mai antwortet, daß List sich zurückgezogen verhalte, sehr
wenig von der Welt sehe, und man nichts bemerke, daß er Beziehungen unterhalte,
die Unruhe stiften könnten. In einem weiteren Bericht vom 15. Mai unterstreicht
der Präfekt diesen Eindruck, indem er vermerkt, List scheine sich in Papier einzugraben
und alles ließe vermuten, daß dieser die angenehmste Zuflucht gefunden
und keine anderen Intentionen habe; er befasse sich mit einem Werk, das seinen
Prozeß behandle. Aber in Stuttgart ist man nicht gesonnen, den Fall List zu den
Akten zu legen. Das Kriminalamt richtet am 29. Juni 1822 an das Bürgermeisteramt
in Straßburg ein Schreiben, worin List mitgeteilt wird, daß er sich binnen
8 Tagen in Stuttgart einfinden müsse, weil er sich unbefugt ohne Paß ins Ausland
begeben habe und dies den Verdacht der Flucht begründe. Außerdem würden
gegen ihn die wider flüchtige Verbrecher gebräuchlichen Vorkehrungen getroffen.
Am 22. Juli 1822 wendet sich das Kriminalamt Stuttgart erneut an das Bürgermeisteramt
Straßburg; da List nicht nach Stuttgart zurückgekehrt sei, solle er verhaftet
werden, sofern er keine sichere Kaution von 3000 Gulden stellen könne,
um sich dem Urteil der Rekursinstanz nicht zu entziehen.
Die Antwort des Bürgermeisters von Straßburg sichert ihm noch einen Aufschub
, denn jener verweist darauf, daß das Ersuchen die Grenzen gesetzlicher
Amtsbefugnis überschreite und es daher von Regierung zu Regierung behandelt
werden müsse. Aber schließlich schlägt die unerbittliche Stunde, da der Präfekt
den Bürgermeister am 16. September anweist, List müsse innerhalb 24 Stunden
Straßburg und Frankreich verlassen. Tags darauf eröffnet der Polizeikommissar
dem Flüchtling diese Anweisung, die List offenbar doch sehr überraschend kam.
Der Präfekt unterrichtet am 18. September den französischen Innenminister von
6) Geb. Seybold, verw. Neihard, geb. 1789 in Buchsweilcr.
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