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Goethe in Lichtenau 1771
von Ludwig L a u p p e +
Nach der örtlichen Überlieferung hat der junge Goethe, Student der Rechte in
Straßburg, mit Friederike Brion von Sesenheim aus im Lichtenauer Amthaus zu
Besuch vorgesprochen. An dieser Nachricht ist nicht zu zweifeln. Da schon mehrfach
Auskunft erbeten wurde, versuchte ich, in Kirchenbuch und Pfarrchronik Aufschluß
zu finden, doch ohne Erfolg. Der Medizinstudent Weyland der Tischgesellschaft
, welcher sich als Führer fürs Elsaß in Empfehlung gebracht und Goethe in
seinem Verwandten- und Freundeskreise der Idylle des Sesenheimer Pfarrhauses
zugeführt hatte, stammte aus der hanau-lichtenbergischen Residenz Buchsweiler,
wo sein Vater als Landesphysikus eine gehobene Stellung bei der Regierung einnahm
. Die Mutter aber war, wie ich anderwärts in Erfahrung bringen konnte, eine
geborene Schulmeister1). Nun sind die Schulmeister eine alte Lichtenauer Familie
des 16. Jahrhunderts, die dem Gericht seit 1639 in mehreren Geschlechtern den
Schultheißen oder Stabhalter stellte. So starb 1707 im besten Mannesalter der
Stabhalter und Zoller Matthias Schulmeister, der am Türkenkrieg teilgenommen
und sich seine Lebensgefährtin, ein adeliges Fräulein von Baur, aus Ungarn mitgebracht
hatte. Um ihren verwaisten Kindern durch Besuch der Lateinschule eine
bessere Bildung zu vermitteln, verzog die Witwe nach Buchsweiler. Ihre Söhne und
Enkel sind dann als Geistliche und Beamte im Hanauerland beiderseits des Rheines
anzutreffen gewesen. In Lichtenau war es der Amtsschultheiß Gottfried Christian
Schulmeister, ehemals Fourier im kaiserlichen Regiment des Prinzen von Arenberg,
der Großvater des berüchtigten Spions Napoleons I. Karl Ludwig Schulmeister,
des Pfarrersohnes aus Freisten2). 1763 folgte der Neffe Philipp Heinrich Schulmeister
, gewesener Lieutenant des grenadiers ä cheval, einer berittenen Landespolizei
, im Amte. Bei der Trauung seiner Tochter mit Amtsschultheiß Schöne 1778
unterschrieb Johannes Jacobus Brion pastor Sesenheimensis als Zeuge —■ der
einzige Nachweis. Demnach bestanden engere Beziehungen des Sesenheimer Pfarrhauses
zur weitverzweigten Familie Schulmeister; denn Trauzeugen entnimmt man
der nächsten Verwandtschaft. Untergebracht war die Amtsschultheißerei in dem
stattlichen Eckhause, einem später überputzten Riegelbau, gegenüber dem „Ochsen"
mit Wirtschaftsgebäuden, aber ohne Garten. Nach 1945 verfiel der Bau und wurde
in der Folge abgerissen.
!) Der Vater des Studenten Lerze („Götz") war ebenfalls Beamter daselbst.
2) Mit dem Adel der Urahne, auf den männlichen Stamm übertragend, verfehlte Charles Louis
Schulmeister, der Schmuggler und Häftling von ehedem, später nicht, in den vornehmen Kreisen Straßburgs
seine Ebenbürtigkeit herauszustreichen.
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