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die Feierlichkeit abschloß. Gesangvereine waren damals nur selten und vereinzelt
zu finden. Auf Schloß Heiligenberg dauerte der Aufenthalt über eine Woche, die
durch gemeinsame Ausflüge in die Umgebung ausgefüllt wurde. Mein Vater besuchte
die Städte Meßkirch und Pfullendorf und nahm uns Brüder dann nach
Konstanz mit. Hier wurde seine Anwesenheit mit besonderem Gepränge gefeiert;
die beiden Bürgerwehren zu Fuß und zu Pferd veranstalteten festliche Aufzüge,
wobei die berittene Bürgergarde zum erstenmal mit der von meinen Eltern
geschenkten Standarte erschien. Letztere wird noch heute in der Rosgartensammlung
verwahrt und bietet deshalb ein besonderes Interesse, weil die Malerin
Ellenrieder die Ausführung übernommen hatte; auf der Standartenplatte befinden
sich die Porträts meiner beiden Eltern.
Erstes badisches Dampfschiff „Leopold"
Damals fuhr mein Vater auch zum erstenmal auf dem Dampfschiff „Leopold
"69), und zwar von Meersburg nach Konstanz und von da nach Überlingen,
wo wir übernachteten. Auch da war festlicher Empfang, und am anderen Morgen
besichtigten wir das Münster und seine Sehenswürdigkeiten, wobei uns der alte
Dekan Wocheier geleitete und interessante Erklärungen gab. Das Dampfschiff
„Leopold" war erst kurze Zeit vorher erbaut worden und befuhr als erstes
badisches Schiff70) den Bodensee. Seine feierliche Taufe, zu der von weit und
breit Zuschauer herbeiströmten, hatte die Schwester meines Vaters, die Fürstin
Amalie von Fürstenberg, in dem neugebauten Hafen von Konstanz vollzogen.
Pvotgelbe Nationale und Roßhaarbusch
Gelegentlich des eben erwähnten Besuches in Konstanz sah ich auch zum erstenmal
die Bürgergarde der Insel Reichenau. Es war dies schon damals eine recht ansehnliche
und stattliche Truppe mit einer zahlreichen Musikbande. Ihre Uniform,
deren ich mich noch bis ins Detail entsinne, bestand in einem Frack von weißem
Tuch mit rotem Kragen und zwei Reihen Messingknöpfen, schwedischen Ärmelaufschlägen
und roteingefaßten Rockschößen. Im Sommer trug die Bürgergarde
weiße Beinkleider mit weißen Gamaschen, im Winter marengofarbene mit rotem
Vorstoß. Zur Ausrüstung gehörten ferner eine Muskete mit rotlackiertem Gewehrriemen
, Säbel und Patronentasche, die über die Schulter gehängt war, ein
Tornister mit gerolltem Mantel, ein breiter Tschako nach altpreußischer Form,
vorn darauf eine große Granate und für die Gemeinen auf dem rotgelben Nationale
ein kurzgeschorener, langer, schwarzer Roßhaarbusch. Am Ende desselben
69) Der Hafendamm in Konstanz, an welchem an Markttagen gegen 100 Segelschiffe (sog. Lädinnen, Halb-
lädinnen und Segner) anlegten, bot keinen Raum mehr für die zwei Dampfboote „Leopold" und „Helvetia",
welchen sich 1835 noch der in Lindau erbaute „Ludwig" anschloß (Motz, Konstanz, seine baugeschichtliche und
verkehrswirtschaftliche Entwicklung, 1925, Seite 116).
70) Das erste badische Dampfschiff war „Stephanie", die 1817 von Stapel lief. Die Probefahrt nach Meersburg
dauerte vier Stunden. Zur Rückfahrt holte man 12 Männer, die das Schiff nach Konstanz rudern mußten,
da sich die Maschine als zu schwach erwiesen hatte. „Stephanie" stand bis 1820 bei Petershausen und wurde
dann versteigert (Motz, a. a. O., Seite 117).
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