http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1966/0125
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Trennung von Bischof und Stadt, also den Verlust der Stadt Straßburg für den
Bischof zur Folge, der fortan nicht mehr am Sitz seiner Titularkirche, sondern in
Zabern residierte. 1271 erscheint erstmals in den Urkunden die Bezeichnung
„Merketstadt" oder „Oppidum" Oberkirchen, ein zur Curia Nußbach gehörender
Platz — es ist noch nicht die heutige Stadt! —, den der Bischof 1303 gekauft
hatte.
Die Demokratisierung Straßburgs durch Einführung der Zunftherrschaft (1330)
fällt fast mit der Verleihung der Offenburger Stadtrechte für Oberkirch (1326)
zusammen. Während aber die Straßburger Vorgänge als evolutionäres
Ereignis zu werten sind, darf die Oberkircher Verleihung als konservativ
bezeichnet werden. Vielleicht ist es nicht zu kühn, zu sagen, der Bischof habe sich
für entgangene Möglichkeiten einen Ersatz schaffen wollen.
Der Titel der „Offenburger Stadtrechte" verführt. Es ist doch wohl so zu deuten
, daß König Friedrich dem Bischof die Summe jener Berechtigungen für das
neu zu gründende Stadtwesen einräumte, die er selbst in der königlichen Stadt
Offenburg genoß. Aber indes die Königsmacht langsam und unaufhaltbar verfiel
und die Unterglieder des Reichsbesitzes sich immer mehr selbständig machten,
blieb die Macht des Bischofs trotz gelegentlicher Schwankungen die gleiche.
Nahezu 500 Jahre lang blieb Oberkirch eine bischöfliche Stadt, auch wenn sie
gelegentlich einem andern Herrn huldigen und ihre Abgaben in eine andere Kasse
abführen mußte, weil sie als bischöfliches Vermögensobjekt verpfändet war.
Ich habe in meiner Arbeit in „Die Ortenau" 1964 darauf hingewiesen, daß die
seit der Gründung der Stadt vorhandenen 89 Hofstätten innerhalb der Mauern noch
auf den Karten zu Beginn des 19. Jahrhunderts genau nachzuweisen sind und sich
nicht vermehrt haben. Dem entspricht die Stagnation der Einwohnerzahl. Rechnet
man nach den Häusern mit etwa 800 Einwohnern im 15. Jahrhundert, so waren es
nach amtlicher Zählung kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg 152 Bürger, d. h.
rund 1000 Einwohner, nach dem Krieg im Jahre 1673 deren 155 und hundert
Jahre später nur 127 (1790). (Da keine soziale Gesetzgebung in unserem Sinne
vorhanden war, rechneten die Statistiker lediglich die Steuer- und umlagepflichtigen
Hausbesitzer und Gewerbetreibenden zusammen. In den fünfhundert Jahren
veränderte sich die Zahl kaum.)
Das scheint beim Blick auf die Entwicklung anderer Städte zunächst erstaunlich
. Waren doch die Städte gerade wegen der unbegrenzten Ausdehnungsmöglichkeit
der Geldwirtschaft im Gegensatz zu den natürlichen Schranken der Naturalwirtschaft
gegründet worden. Was Geld und damit Macht und Größe brachte,
war der Fernhandel. Zwar lag Oberkirch an einer Straße, die das Elsaß mit
Schwaben verband, aber es war eine Nebenstraße! Der Kniebis, über den die
Zähringer aus strategischen Gründen einen Weg angelegt hatten6), erwies sich als
ein zu starkes Hindernis. Die Durchsicht der Zollabrechnungen am beiderseitigen
6) Der Herzog von Zähringen hatte im 10. Jahrhundert zu seinen schwäbischen Besitzungen am Neckar
auch die Mortenau erhalten und schuf einen Paßweg über den Kniebis, um das Aufgebot rasch an eine evtl.
gefährdete Ostgrenze schaffen zu können. Es war nicht mehr als ein Reitweg für das Reiter- bzw. Ritterheer.
Der Übergang war noch im 16. Jahrhundert „ein Abenteuer".
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