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Oberkircher Boden betrat, seine Frau dagegen für ihn nicht haftbar war, konnte
er, Grimassen schneidend und Schmähreden führend, wie es in dem Bericht heißt,
an seinen machtlosen Gegnern vorbei und in die Freiheit fahren! Und dies schon
hundert Jahre vor Götz von Berlichingen.
Ich sprach vom Stadtregiment und scheine mich dadurch selbst widerlegt zu
haben. Es gab, 1565 aufgezeichnet, sogar ein städtisches „Statutenbuch", in dem
alle Rechte, Freiheiten und Gewohnheiten von Oberkirch aufgezeichnet waren.
Aber bei näherem Zusehen unterscheidet sich dieses Statutenbuch in keinem wesentlichen
Punkte von den üblichen dörflichen Weistümern. Die untere Verwaltung
verblieb der Stadt, wie heute die Gemeindeverwaltung dem gewählten Gemeinderat
. Doch sind jener wie dieser unübersteigbare Grenzen durch die staatliche
Aufsicht gesetzt, und das letzte Wort sprach immer der bischöfliche Schultheiß,
ein adliger Beamter.
Der Stadt fehlte vor allem eine eigene Vermögensgrundlage. Sie hatte keine
Flur wie die umliegenden Curien und war auf die Einnahmen aus dem Gewerbefleiß
ihrer Bürger — soweit solche vom Stadtherrn ihr überlassen wurden — angewiesen
. Grundbesitz der Bürger selbst befand sich in den jeweiligen Curien der
Umgebung und wurde dort außerhalb des städtischen Einflusses als Ausbürgereigentum
versteuert.
Und noch ein Punkt wäre zu klären: die Wehrhoheit. Sie haben vielleicht dann
und wann vom „Oberkircher Fähnlein" gelesen, das seit dem Ende des 16. Jahrhunderts
in den Akten erscheint. Es handelt sich dabei aber nicht um eine
städtische Garde, sondern um die sogenannte „Landwehr" des Straßburger
Bischofs, die zur Territorialverteidigung — und nur zu dieser! — aufgerufen
werden konnte. Und dieses „Oberkircher Fehnlin" rekrutierte sich nicht nur aus
Oberkircher Bürgern, sondern wie auch bei Oppenau, Ulm und Appenweier, aus
dem ganzen Gerichtsbezirk.
Damit wäre die wichtigste Frage zur Kennzeichnung des Stadtwesens angeschnitten
: die Gerichtshoheit. Auch hier gilt Fehlanzeige. Der Gerichtsbezirk Ober-
kirch ist aus bischöflichem Territorium zusammengestellt, die Stadt hat keine
eigene Gerichtshoheit. Die beruflichen Richter sind bischöfliche, nicht städtische
Beamte. Gewählte Beisitzer sind nur „Schöffen".
Genug der Einzelheiten. Ihre Aufzählung beweist, daß von städtischen Freiheiten
im eigentlichen Sinn, von Entwicklungsmöglichkeiten aus eigener Initiative
nicht gesprochen werden kann. Oberkirch war ein Stück des bischöflichen Territoriums
wie etwa Ulm, nur im Gegensatz zu jener alten Curie oder Hofmark mit
städtischem Charakter. Den Bemühungen seiner Bewohner waren durch die fürstbischöfliche
Verwaltung Grenzen gesetzt, sie waren im wahrsten Sinne des Wortes
„unmündig" und konnten sich nur durch den Mund ihres Stadtherrn bemerkbar
machen. Die Einführung modern anmutender Institutionen wie etwa der Zunftordnungen
widerspricht dem nicht, denn abgesehen davon, daß sie erst im 17.
Jahrhundert kamen, waren sie von der bischöflichen Regierung dekretiert, nicht
von den Bürgern erzwungen. Im Gegensatz zu Oppenau, das als Kernstück
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