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kamen bis in die obersten Verwaltungsstellen der Gebietsherrschaft. Leider hat sich
keiner der so Begünstigten bewährt (siehe Ortenau 1961, S. 83—89). Jeder verbarg
seine Unfähigkeit hinter der Maske überlegener Freundlichkeit. Jeder hat das ihm
wie selbstverständlich entgegengetragene, unbesehene Vertrauen der Klosterleitung
ganz unerwartet und aufs grausamste enttäuscht. Die Verwilderung in den Bereichen
des Denkens und Handelns war noch lange Zeit eine böse Erbschaft aus der
Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Völlig verkommen, blutarm, über und über mit Ausschlag behaftet, ohne einen
Obolus in der Tasche, kam eines Tages ein junger Mann namens Johann Friedrich
Meyershofen nach Gengenbach. Er stammte aus Lommiß im Thurgau von armen
Eltern, wo gleichwohl sein Vater Gerichtsmann war, und besaß nichts außer einem
naturwüchsigen Verstand und zwei entschlossen zupackenden Armen.
Der damalige Gengenbacher Reichsschultheiß Georg Friedrich Dornblüth der
Ältere nahm ihn aus Mitleid auf. Man konnte ihn nur als Stallburschen verwenden
, denn etwa den Tisch zu decken und zu richten konnte man ihn nicht heißen.
Vater Dornblüth nahm sich trotzdem des jungen Mannes an. Dieser war wohl roh
und ohne Schulunterricht in der Schweiz aufgewachsen, aber Dornblüth merkte
bald, daß eine ungewöhnliche Klugheit und Urteilsfähigkeit sowie die stählerne
Kraft eines tatstrebigen Willens in ihm die unbändigste Arbeitsfreude erzeugte,
und ließ ihn in der Klosterschule ausbilden. Durch einzigartigen Fleiß machte er
ungeahnte Fortschritte, so daß Dornblüth ihn schließlich als Schreiber in die Kanzlei
der Klosterverwaltung brachte, womit jener die unterste Stufe eines steilen
Aufstiegs erklettert hatte.
Sein Lerneifer und seine Strebsamkeit hielten unvermindert an, so daß er nach
einigen Jahren wachsender Bewährung beim Freiwerden des Stadtschreiberei -
Amtes dem Zeller Magistrat als geeignet und geschickt empfohlen werden konnte.
Und er erhielt tatsächlich dieses wichtige, viel Umsicht erheischende, einflußreiche
und ordentlich bezahlte Amt in Zell a. H. im Jahr 1673 (bis 1699). Damit faßte
er dort für immer festen Fuß.
Die Generation jener Tage war seltsam geprägt durch die entsetzliche Nichtigkeit
des großen Krieges und zugleich durch die aus der Urtiefe des Daseins gespeiste
Hingebung an den Weg zum ewigen Heil, wie sie die klassische Gestalt des
Simplizissimus so eindringlich offenbart. So zweipolig als krasses Weltkind, das
aber bei aller Überwucht des weltlichen Lärms die lockende Stimme des Schutzengels
in stillen Stunden der Daseinsleere nicht überhörte und sich ihr zuweilen
ebenso vollblütig hingab, so lebte unser Johannes in die damalige Zeit hinein.
In Gengenbach und später in seinem reichsstädtischen Amt lernte er hohe und
höchste Männer kennen, stark weltlich orientierte, kaltrechnende Juristen, wie den
Offenburger Stadtsyndikus Eschenbruch, aber auch führende Persönlichkeiten im
kirchlichen Leben, wie den Generalvikar für den rechtsrheinischen Teil des Bistums
Straßburg, zu dem Gengenbach und Zell gehörten, Lambert von Lahr, der sich
zum beschaulichen Orden der Kartäuser in Molsheim hingezogen fühlte, dort
allerdings nur das Noviziat mitmachte. Diese beiden Männer vor allem haben
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