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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
48. Jahresband.1968
Seite: 288
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hatte nach der damaligen Mode Zöpfe und trug einen Unterrock, denn „was ihn hier
fest und vom Wandern abhält, ist der Umstand, daß er mit einem Mädchen Umgang hat
und mit demselben ein Zusammenleben führt, das sehr verdächtig ist, Ärgerniß gibt und
nicht mehr geduldet werden kann".

Und dann verrät der Gemeinderat den eigentlichen Anlaß für seine Entrüstung. Es sind
die finanziellen Belastungen der Gemeinde, die schon für den Unterhalt etlicher außerehelicher
Sprößlinge aufzukommen hat: „Zumal die öffentliche Caße mit Unterstützungs-
Zahlung für uneheliche Kinder übermäßig bedarft ist."

Auch die Schuhmacherzunft warnte davor, dem Bittsteller den Zugang zur Meisterprüfung
und damit zum Antritt des Bürgerrechts zu gewähren: „Es wäre für ihn ge-
rathener, wenn er durch die gesetzliche Wanderschaft sich vervollkommnen würde." Daher
verfügte zum 18. Juli 1835 das Bezirksamt, Alois F. habe, „da seine Entschuldigungen
nicht stichhaltig seyen, alsbald die gesetzte Zeit im Ausland zu wandern" und der Polizeidiener
schrieb darunter die Mahnung, er habe sich „schleunigst auf Wanderschaft zu
begeben".

Es war jedoch, wie wenn man den Ochsen ins Horn pfetzt. Das Ärgernis mußte noch
zwei Jahre geduldet werden. Nach dieser Zeitspanne saß Alois F. noch immer bei seiner
Amalia, und statt Schuhe zu besohlen, hängte er nasse Windeln an die Leine. Da konnten
Zunft, Gemeinderat und Bezirksamt verfügen, so viel sie wollten. Empört konstatierte
das Bürgermeisteramt: „Er blieb bei seinem Mädchen hier sitzen, mit dem er in vertrautem
Umgang großen Theils unter einem Dache lebte und auch uneheliche Kinder
zeugte."

Auf Abwehr bedacht, gab der Geselle Alois F. seine Sache einem Rechtskonsulenten und,
wie dessen Vorgehen bewies, keinem unbeholfenen und unerfahrenen: „Mit 25 Bogen
Raisonnement bringt dieser Anwalt heraus, daß der Bittsteller alle Erfordernisse zum
Antritt des angeborenen Bürgerrechts besitze, daß es kein Gesetz gebe, das eine dreijährige
Wanderschaft vorschreibe und — daß sein Mandant lediglich mit Chicanen des
Gemeinderats verfolgt werde."

Und dann bewies er klipp und klar, hätten die Behörden dem Gesellen Alois F. eine
Heiratserlaubnis gegeben, anstatt ihn auf Wanderschaft zu zwingen, wären dessen Kinder
nicht außerhalb einer rechtmäßigen Ehe zur Welt gekommen.

Damit waren unversehens alle Dinge auf den Kopf gestellt. Der Spieß wurde umgedreht
. Wer vorher unten kauerte, thronte nun in unnahbarer Höhe; was zuvor
schwarz war, sollte nunmehr weiß sein. Einzig und allein den Gemeinderat treffe die
Schuld, „daß die unehelichen Kinder, die Alois F. mit Amalia Sch. producirt, nicht ehelich
seien".

So an den Pranger gestellt, hatten die bestürzten Stadtväter alle Mühe, sich von der
Anklage, sie begünstigten uneheliche Geburten, glaubhaft reinzuwaschen. Gegen diese
Verdrehung der Tatsachen betonten sie: „Das Verbot einer Eheschließung ermächtige
junge Leute in keinem Falle, unehelich zusammenzuleben und alle Rechte Verheirateter
zu genießen. Es sei eine miserable Rekursbegründung, stur zu behaupten, daß durch die
Verhinderlichung der Verehelichung die ledig bleibenden Personen gezwungen werden,
uneheliche Kinder nach Belieben zu zeugen, daß sie, ohne einer Entschuldigung zu bedürfen
, in geschlechtsvertraulichem Umgange leben und einen unzüchtigen Lebenswandel
führen dürfen. Eine schöne Apologie für die Vermehrung der unehelichen Geburten!"

Habe Alois F. die körperliche Konstitution, als Meister zu arbeiten, müsse er auch
fähig sein zu wandern. Ein ärztliches Zeugnis erwähnte „Anfälle fallender Sucht",
worunter der Bittsteller leide. Der Gemeinderat war der Ansicht, die Ursache dieser
„fallenden Sucht" sei ein „gefallenes Mädchen" und dürften „solche (Anfälle) weniger zu
befürchten sein, wenn er, von seiner Geliebten entfernt, auf seiner Profeßion arbeiten
würde".

Schließlich zwinge die Rücksicht auf andere Handwerker, „die arbeiten, schwitzen und
sich vervollkommnen und ein ehrbares, enthaltsames Leben führen", die Behörden gegen

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