Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
49. Jahresband.1969
Seite: 98
(PDF, 74 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1969/0100
Lampen, holten Gebetsrollen aus dem Altar und rissen sie in Stücke. Die Demonstration
begann gegen Abend. Auf Veranlassung der Kreisleitung hatten Betriebsobleute
der Arbeitsfront die Arbeiter ihrer Betriebe aufgefordert, sich an der
Aktion zu beteiligen. Gegen 17 Uhr rottete sich am ehemaligen Gasthaus „Palmengarten
" (Ecke Hauptstraße - Unionrampe) eine Menschenmenge zusammen, die in
kurzer Zeit auf 150 bis 200 Personen anwuchs. Ihr erstes Ziel war das Cafe Weil,
Blumenstraße, in dem sich die Offenburger Juden trafen, nachdem ihnen der Besuch
der Gaststätten nicht mehr erlaubt war. Die Demonstranten drangen in das Lokal
ein und schlugen alles kurz und klein. Dann bewegte sich der Zug unter Absingen
von Kampfliedern durch die Hauptstraße, Stein- und Lange Straße zur Synagoge
und zerstörte die gesamte Inneneinrichtung. Anschließend schleppten die Demonstranten
zerstörte Einrichtungsgegenstände sowie Zylinder und Gebetbücher auf
den Rathausplatz und verbrannten sie. Beschlossen wurde diese Demonstration
durch eine Kundgebung im Dreikönig-Saal, bei der wiederholt geschrien wurde:
„Juda verrecke!"

Nicht weniger empörend war das Schauspiel des folgenden Tages. Alle männlichen
Juden über 16 Jahre — 60 bis 70 —wurden „zu ihrer persönlichen Sicherheit
in Schutzhaft genommen". Auch diese Maßnahme erfolgte auf „höheren" Befehl.
Jeweils ein Polizeibeamter und ein SS-Mann holten die Juden aus ihren Wohnungen
und brachten sie auf die Polizeiwache. Im Sitzungssaal des Landratsamts wurden
die Personalien der Festgenommenen notiert. Schon gegen 10 Uhr befanden
sich alle Verhafteten im Gefängnishof. Dort mußten sie im Laufe des Tages mancherlei
Demütigungen und Kränkungen über sich ergehen lassen. Unter anderem
zwang man sie, ausgewählte Kapitel aus Hitlers „Mein Kampf" vorzulesen.
SS-Männer hielten „Singproben" ab. Abscheuliche Bilder bot der Abtransport der
Verhafteten zum Bahnhof, der gegen 21 Uhr einsetzte. Einigen wurden in brutaler
Weise die Hüte heruntergeschlagen und zum Hohn Zylinder über die Köpfe gestülpt
. Um den Zug wurde ein Seil gespannt. An der Spitze marschierte die Polizei,
die versuchte, Auswüchse zu verhüten. Flankiert von Männern der SS und begleitet
von Mitgliedern der Hitlerjugend, bewegte sich der Zug über die Grabenallee
und die Hauptstraße. Dort stand eine Menge Menschen, meist „Pöbel aus den
berüchtigten hiesigen Wohnvierteln", der sich von fanatischen Parteiführern aufputschen
ließ und die Juden in der gemeinsten Weise beschimpfte und in das
Gesicht spie. Immer wieder wurde der Marsch unterbrochen. Die Festgenommenen
mußten das Lied „Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus" mit dem Refrain
„Der Jud muß naus" singen und Sprechchöre wie „Juda verrecke" aufsagen. Wer
sich weigerte zu singen, wurde mit Schulterriemen geschlagen und mit den Füßen
getreten. So dauerte der Transport auf dem Weg, den man normalerweise in einer
starken Viertelstunde zurücklegt, eineinhalb Stunden. Viele, ja die meisten Personen
, die aus Neugierde gekommen oder durch den Lärm angelockt worden
waren, wandten sich empört und kopfschüttelnd von diesem gräßlichen Schauspiel
ab. Ein Sonderzug brachte die Opfer nach Dachau. Nach einigen Tagen wurden sie
wieder entlassen. Aber drei von ihnen starben an den Folgen der Drangsalierung.

98


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1969/0100