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Kreide18. Im September 1791 wurde der Bestandsvertrag aufgehoben und 1795 die
Druckerei aufgelöst und verkauft, doch in der Geschichte des deutschen Buchhandels bleibt
unvergessen, daß Kehl der Standort einer der größten Druckereien der damaligen Zeit
war I9.
Druckerei Pierre Chanson
Beaumarchais hatte seine Druckerei Ende 1780 kaum eingerichtet, als sich der Buchdrucker
und Buchhändler Pierre Chanson am 29. März 1781 mit einer Eingabe an den Markgrafen
wendet, sich in Kehl niederlassen zu dürfen, um dort eine Buchdruckerei anzulegen
und eine Buchhandlung zu eröffnen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie rasch die
Behörden arbeiteten, denn bereits am 3. April erstattet Amtmann Strobel in Kehl über
das Gesuch seinen Bericht20; die Bürgerschaft erhebt keine Einwendungen, und von Rochebrune
, Geheimer Legationsrat „in französischen Angelegenheiten", empfiehlt ihn als einen
sehr intelligenten Mann, welcher der Stadt nur Ehre machen werde. Im gleichen Jahr
erwirbt Chanson ein Haus und das Bürgerrecht, nachdem er die Erlaubnis erhalten hatte,
eine periodische Zeitschrift herauszubringen, den
L'Observateur
Am 18. Juli 1782 übersendet er dem Markgrafen die erste Nummer dieser Zeitschrift
(49 Seiten), die alle 14 Tage in französischer Sprache erschien und über das politische
Weltgeschehen berichtete, später aber vollkommen in Vergessenheit geriet21. Sie brachte
geschichtliche Abhandlungen und berichtete aus zahlreichen europäischen und auch aus
anderen Staaten. Aber schon im Sommer 1782 begannen Unannehmlichkeiten mit Chanson
, die schließlich auch die Justiz in Bewegung setzten. Mit der Zensur waren Rochebrune
und Pfarrer Herbster beauftragt worden, doch Chanson druckte auch unzensierte Beiträge
, und Amtmann Strobel beschwert sich, daß Chanson „bisweilen anstößige Bücher
führe, auch sogar neuerlich in seinem Observateur No. IV etwas unter dem Titel Querelles
litteraires eingerückt, so Verdrießlichkeiten nach sich ziehen kann und wird". Der aus
Paris datierte Beitrag bildet den Auftakt heftiger Auseinandersetzungen zwischen Le
Tellier, dem Direktor der „Societe", und Chanson, die der Stadt Kehl allerdings nicht
zu jenem neuen Glanz und Ansehen verhalfen, die sich Chanson in seiner Eingabe vom
29. März 1781 aus der Errichtung seiner Druckerei versprach! Der Artikel nahm Bezug
auf eine Broschüre „Lettre d'un Alsacien a son ami souscripteur des Oeuvres complettes
de Mr. Voltaire avec les caracteres de Baskerville", Bouillon 1782 (39 S.)22. Nach einem
Bericht des Hofrates Molter wurde diese Broschüre an verschiedenen Plätzen des „morgens
18 Frischauer, S. 302.
1» Johann Goldfriedrich, Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 3, Leipzig 1909, S. 515: „Die allgemeine
Aufmerksamkeit nicht nur des deutschen, sondern des ganzen litterarisch und buchgewerblich interessierten
Europas zog in den siebziger, achtziger Jahren das Straßburg gegenüberliegende Kehl auf sich." Zu den
größten Druckereien jener Zeit zählte die Druckerei des Hofbuchhändlers Johannes Thomas Trattner
(Edler von Trattner 1717—1798), der in Wien mit 26 Pressen arbeitete, aber auch noch in anderen
Städten druckte. Nach Martius arbeitete Beaumarchais 1785 mit 30 Pressen, nach anderer Angabe mit 36.
20 Badisches Generallandesarchiv 207 N. 103 (1781—1783).
21 Am 18. Juli 1782 wurde die Nr. 1 (49 S.) dem Markgrafen Carl Friedrich vorgelegt. Die Ausgaben Nr. 1
und 4 befinden sich im GLA in Karlsruhe und sind meines Wissens sonst nirgends mehr zu erhalten;
nach freundlicher Mitteilung der Deutschen Bücherei in Leipzig (Dr. Schaaf) vom 7. 7. 1965 ist der
L'Observateur dort nicht vorhanden, nach Mitteilung der Universitätsbibliothek Straßburg (Mme. Y.
Soudier) vom 15. 4. 1965 auch nicht in den elsässischen Bibliotheken. Einsendungen für den L'Observateur
waren an die Buchhandlungen Bauer & Treuttel oder an die Freres Gay in Straßburg zu richten.
22 Werner Krauss, Studien zur deutschen und französischen Aufklärung, Berlin 1963 (Neue Beiträge zur
Literaturwissenschaft, Hrsg. Prof. Dr. Werner Krauss und Prof. Dr. Hans Mayer, Bd. 16), S. 134:
„Das unabhängige Bouillon war eine Ausfallpforte für den legalen, halblegalen und geschmuggelten Buchexport
. ■ Es gehörte deshalb zu den beliebtesten vorgetäuschten Druckorten.
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