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Wielands Projekt einer gemeinschaftlichen Verlagsbuchhandlung mit den Brüdern Jakobi
und Bärstecher
Wieland war offenbar davon überzeugt, daß Bärstecher den Vertrag unterschreiben
würde, denn er erwägt kurz darauf noch eine engere Zusammenarbeit, deren Verwirklichung
ihm dann einen gebührenden Platz in der Literaturgeschichte gesichert hätte. Wie
sehr Wieland von Bärstecher beeindruckt war, geht aus seinem Brief vom 19. Juni 1772
an Friedrich Jacobi hervor114, den ich im Hinblick auf das spätere Urteil Wielands im
Wortlaut bringen möchte:
„Eine Neuigkeit, welche mir Riedel von Wien schreibt, hat mich auf einen Einfall gebracht, den ich Ihnen
eilends mitteile, um zu vernehmen, ob Sie es nicht der Mühe wert halten, ihn auszubrüten. Riedel schreibt
mir, daß er, in Compagnie mit einem Grafen von Stahremberg, einem Baron Strahlendorf und dem Buch-
handler Grunert, eine Buchhandlung zu errichten begriffen sei. Wie wäre es, mein bester Jacobi, wenn
wir, d.i. Sie, Georg 115, und ich mit Bärstecher eine gemeinschaftliche Buchhandlung etablierten? Wir
Autoren gaben unsere Werke, gegenwärtiges und zukünftige, in die Handlung. An anderem guten Verlage
sollte es auch nicht fehlen. Wir würden uns zum Grundsatz machen, schön und correet zu drucken, wohlfeile
Preise zu machen, und die guten Autoren besser als irgend ein deutscher Verleger zu bezahlen.
Hiedurch würden wir uns gar bald der besten Schriftsteller bemächtigen. Besonders würden wir die vortrefflichen
Genien an uns ziehen, welche erst vor kurzem zu glänzen angefangen haben, und von denen
noch große Dinge zu erwarten sind, z. B. eines Herder, eines Kant, Garve, Schlosser. Mit einem Capital
von 10,000 bis 12,000 Rthl. für den Anfang wollten wir Wunder tun. Der Profit ist immer größer, als
bei allen andern Handlungen; und dann bedenken Sie, wie viel Gutes wir der ganzen Nation dadurch
tun wollten. Ich gestehe Ihnen, daß ich ganz verliebt in das Projekt bin, und daß ich es sogleich
realisiert sehen möchte; denn vita brevis ist, sagt der göttliche Hippokrates. Man muß nichts aufschieben,
wenn man nicht länger zu leben hat, als höchstens bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts 11*. Bärstecher
sollte, dächt' ich, mit tausend Freuden entriren. Ich weiß keinen geraderen Weg, wie er ein Mann
in der Welt werden kann, als diesen. Entweder ich bin fasciniert und behext, so sehr es je ein Mensch
gewesen ist, aber mein Projekt ist das herrlichste, klügste, nützlichste und tunlichste Projekt, das seit des
ehrlichen St. Pierre Zeiten jemals einem geldbedürftigen Schriftsteller zu Kopf gestiegen ist."
Man kann sich die Begeisterung Bärstechers vorstellen, wie sie aus der Antwort Jacobis vom 10. August
1772 an Wieland spricht: „Nur ein paar Worte, liebster Bruder, von unserm Buchhändler-Projekt. Bärstecher
ist ganz entzückt davon. Mit Freuden will er nach Düsseldorf ziehen und sich ganz dem Dienste
der Gesellschaft widmen. Die Interessenten sollen sein: Sie, mein Bruder, ich, der hiesige Doctor Brinkmann
, Bärstecher und vielleicht Gleim." 117
Zur Verwirklichung des Planes kommt es nicht, und auch die beabsichtigte Herausgabe
des vollendeten „Agathon" bei Bärstecher scheitert, weil es diesem sicherlich am notwendigen
Kapital fehlt, um Wielands Ansprüche befriedigen zu können, kaum aber daran,
daß Bärstecher den Dichter zu übervorteilen versuchte118 oder aus „Nachlässigkeit des
Commissionsbuchhändlers", wie Buchner unkritisch übernimmt119. Warum sollte sich Bärstecher
das Geschäft mit dem „Agathon" entgehen lassen, wenn es aussichtsreich erschien?
Eher gilt das Wort: „Wieland einem Buchhändler zuzuführen, war etwas gewagt."123
114 Friedrich Heinrich Jacobi's auserlesener Briefwechsel, Hrsg. von Friedrich Roth. Bd. I, S. 65 f., Leipzig
1825.
115 Johann Georg Jacobi. Über ihn: Paul Malthan, Johann Georg Jacobi und sein oberrheinischer Freundeskreis
, in: Badische Heimat, Ekkhart 1972, S. 64 ff.
116 Friedrich Heinrich Jacobi, geb. Düsseldorf 25. 1. 1743, gest. München 10. 3. 1819.
117 Friedrich Roth, Friedrich Heinrich Jacobi's auserlesener Briefwechsel, Bd. I, S. 67 f. Gleim hatte
allerdings schon schlechte Erfahrungen hinter sich, da er mit Bachmann die „Typographische Gesellschaft
in Berlin" gegründet hatte, die 1768 aufgelöst wurde. Bachmann machte Bankrott und beging 1776 in
Petersburg Selbstmord.
118 Otto Freise, Die drei Fassungen von Agathon, Diss. Göttingen 1910, S. 20.
119 C. Buchner, Schriftsteller und Verleger vor hundert Jahren, in: Gesammelte Aufsätze und Mitteilungen
aus dem Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1869—1873, Leipzig 1875, S. 66.
120 Wilhelm Hertz, Philipp Erasmus Reich, in: Gesammelte Aufsätze und Mitteilungen aus dem Börsenblatt
, S. 189.
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