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Historischer Verein und Brauchtumspflege ?
Von Kurt Klein
Seit etlichen Jahren widme ich mich dem Brauchtumsleben und der Brauchtumspflege in
unserer näheren und weiteren Heimat. Dies um so mehr, da ich immer wieder versuche,
vom äußeren Erscheinungsbild in die Tiefe, zu den Wurzeln unseres heimischen Brauchtums
vorzustoßen, um dann erfreut festzustellen, wie sehr sich darin die unverfälschte
Eigenart, die typischen Wesensmerkmale, das naturhaft-religiöse Gedankengut, die Volksseele
, der Odem unserer Vorfahren verbirgt. Deshalb möchte ich versuchen, aufzuzeigen,
inwieweit sich auch der Historische Verein mit der Brauchtumspflege befassen könnte -
oder gar müßte. Mancher mag besorgt fragen: Sind die Aufgaben, die sich der Historische
Verein bisher gestellt hat, nicht schon breit genug gestreut? Gehen wir letztlich nicht an
der Vielfalt unseres Pflichtenkreises zugrunde oder drängen wir uns in ein Arbeitsgebiet,
auf dem andere Vereinigungen schon längst mit wechselndem Erfolg tätig sind?
Um hier eine Antwort geben zu können, müssen wir uns zunächst kurz mit einigen grund-
iätzlichen Ausführungen zum Problem Sitte und Brauchtum beschäftigen. Dazu dringen
wir zu den Wurzeln unseres Brauchutms vor, die im religiösen Denken und Handeln unserer
Vorväter gebettet sind, in einer Zeit, da das Christentum noch lange nicht bekannt
war. Ja, wir müssen uns bis zur Wiege der Menschheit vortasten, um allgemein gültige
Gesetze und Handlungsweisen in gleichen oder ähnlichen Erscheinungsformen bei allen
Völkern zu erkennen, die im Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, zur Natur, vor
allem zu überirdischen Mächten zu suchen sind. So war es letztlich die Religion, die im
Menschen die Sitte als innere Haltung, als geistig-seelische Kraft erstarken ließ, die dann
im gelebten Brauchtum wieder ihre äußere Form gefunden hat. Unter diesem Gesichtspunkt
dürfte die Sitte der Geist, die Seele sein, während das Brauchtum als Körper Sinnenfreude
offenbart. Je weiter wir in die Menschheitsgeschichte zurückblenden, um so
mehr erkennen wir, wie sehr Glaube, Religion und Leben ursprünglich eine Einheit bildeten
und daß ein Großteil des Brauchtums aus dem jeweiligen religiösen Denken und Empfinden
erwachsen ist. Damit sei aber auch erkannt, daß Altes, Uberfälliges verkümmerte,
erstarb und immer wieder neues Brauchtum entstand. Vielleicht spüren wir schon jetzt,
daß uns in der Erforschung des heimatlichen Brauchtums eine historische Aufgabe zuwächst
. Doch verweilen wir noch etwas auf dem Wege der Entwicklung.
Das aufkeimende Christentum hat zunächst versucht, das sogenannte heidnische Gebaren
unserer Ahnen auszurotten, ein Unterfangen, das fast überall zum Scheitern verurteilt war.
Bedenken wir auch, daß sich in der Christianisierung der besiegten, unterdrückten Alemannen
auch eine politische Komponente verbarg, denn die fränkischen Herren sandten
nicht nur aus christlicher Verantwortung, sondern mit greifbaren weltlichen, machtpolitischen
Hintergedanken die iroschottischen Glaubensboten in die Lande um Rhein, Donau
und Bodensee. Deshalb galt ein Festhalten am alten, „heidnischen" Brauchtum zugleich
als Aufstand, als demonstratives Abschütteln des fränkischen Jochs. Mehr Erfolg zeitigte
die Methode, die gewachsenen, in der Volksseele tiefverwurzelten Gebräuche mit christlichem
Gedankengut zu durchdringen, zu veredeln, zu überlagern. Das war bestimmt kein
Fehler, entsprang doch das heidnische (heidnisch sollten wir nie mit Gott- oder Bindungs-
losigkeit übersetzen) Brauchtum einem unerschütterlichen, demütigen Glauben an die überirdischen
Gottheiten. Z. B. erkennen unsere Kirchen heute, daß es ein Fehler war, den
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