http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1973/0060
Doch wie steht es um die Gestalt des Autors? Was wissen wir — über die knappen
urkundlichen Belege hinaus — über den Dichter Grimmelshausen? Es ist eigentümlich
: Während seine Werke, vor allem der „Simplicissimus" (der 1668, ein
Jahr nach Antritt des Schultheißenamts erschien), sogleich weithin bekannt wurden
, sich großer Beliebtheit erfreuten und eine Flut von Raubdrucken und Nachahmungen
auslösten, blieb der Autor zunächst unbekannt. So überrascht es nicht,
daß der Name des Simplicissimus-Verfassers lange Zeit nur als Anagramm kursierte
, mit dem er sich am Ende des VE Buches des „Simplicissimus" bezeichnete,
nämlich: Samuel Greifensohn von Hirschfeld. Noch Lessing stellte im Jahre 1787
fest:
„Greifensohn, (Samuel) aus Hirschfeld, lebte im vorigen Jahrhundert und war in seiner
Jugend Musketier. Mehr ist nicht von ihm bekannt, ob er gleich verschiedenes geschrieben
hat."10
Der richtige Name blieb auch in den nachfolgenden 40 Jahren unbekannt. Literaturgeschichten
, die in dieser Zeit erschienen - etwa die von Franz Horn (1822)11
oder die von Gervinus (1835)12 —, versuchten nicht oder ohne Erfolg, Näheres
über den Autor zu erfahren. Die Dichter der Romantik schätzten den Verfasser
des „Simplicissimus" sehr hoch: Tieck nahm das bekannte Nachtigallenlied
(„Komm Trost der Nacht. . .", Simpl. 1,7) in die erste Fassung des „Zerbino"
auf, und Eichendorff fügte sie in die Novelle „Die Meerfahrt" ein; die Person
Grimmelshausens und seine Biographie indes interessierten nicht.
Im Jahre 1838 erschien dann die in vieler Hinsicht epochemachende Studie von
Theodor Echtermeyer über Grimmelshausen, in der die Frage nach dem wahren
Namen des Autors zum ersten Mal gestellt und auch beantwortet wurde:
„Der wahre Name des Verfassers vom ,Simplicissimus' ist nicht Greifensohn von Hirschfeld
, sondern Christoffel von Grimmelshausen, und dieser ist durch Versetzung aus alle
den Pseudonymen zu gewinnen, welche er auf die Titel seiner Schriften gesetzt hat."13
Das Bemühen um die Verfasserfrage, bzw. das früher so geringe Interesse für
das Leben des Dichters kann nicht mit dem Fortschritt der philologischen Methoden
erklärt werden. Sie ist vielmehr die Folge eines neuen, veränderten For-
schungs- und Erkenntnisinteresses, das der Biographie und der Person des Autors
für das Verständnis des Werks vorrangige Bedeutung beimaß.
Wir verdanken diesem Neuansatz in der Forschung - der biographisch-positi-
vistischen Methode - die Veröffentlichung zahlreicher Urkunden und Eintragungen
über Grimmelshausen, seine Herkunft, seine Familie, sein Leben. Albert
Duncker (der Grimmelshausens Herkunft aus Gelnhausen ermittelte), Philipp
10 Lessings sämtliche Schriften, hrsg. von Lachmann. 3. Aufl. hrsg. von Munker, Bd. 14, S. 173.
11 Franz Horn: Die Poesie und Beredsamkeit der Deutsdien. Berlin 1822, Bd. 1, S. 284 ff.
12 Georg Gottfried Gervinus: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. 5 Theile. Leipzig
1835—42.
13 Theodor Echtermeyer: Die Abentheuer des Simplicissimus. Ein Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen
Krieges. Hrsg. von E. v. Bülow. — In Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst 52
(1838), Spalte 413 ff. — Schon 1837 hatte Hermann Kurz in seiner Literaturgeschichte die Vermutung
geäußert, daß Grimmelshausen der Verfasser des „Simplicissimus" sei.
58
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1973/0060