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reich von Tätigkeit, Auseinandersetzung und Bewährung) tritt demgegenüber die
historische Landschaft auffallend zurück. Mit der fortschreitenden Abkehr von
der Welt, die in der „Continuatio" dargestellt wird, verzichtet Simplex auch auf
das Perspektiv, das Fernrohr (um 1600 entdeckt und um 1670 noch wenig verbreitet
), das ihn dazu verführt hatte, den Ausblick über das Land zu genießen.
Wer in der Nennung von Namen aus der Umgebung Renchens eine besondere
Huldigung des Dichters an diese Landschaft sieht, müßte erklären können, warum
sie ausgerechnet an jener Stelle erfolgt, an der sich Simplex aus dieser Welt
in völlige Askese zurückzieht. Dieser Rückzug in die Einsamkeit gibt zu erkennen,
daß alle Realität dieser Welt dem Gesetz der vanitas, der Hinfälligkeit und Eitelkeit
alles Irdischen unterworfen ist - auch die Landschaft um den Mooskopf.
Die der Landschaftsschilderung folgende Darstellung der Träume und der Auseinandersetzungen
mit den Verlockungen der Welt zeigt sehr deutlich, daß die
Lokalisierung der Einsiedelei in der Wahlheimat des Dichters exemplarisch und
nicht realistisch zu verstehen ist. Nicht der Oberrhein ist Schauplatz der Vorgänge
,45 sondern die Welt, der irdische Bereich als ganzes, in dem freilich auch
die Landschaft des Oberrheins und des Schwarzwalds neben vielen anderen
(Frankreich, England, Ägypten, die Insel) beispielhafte Funktion einnimmt.
Dasselbe gilt für Figuren, die man biographisch zu deuten versuchte, so die Meu-
der, in der manche Grimmelshausens Frau Katharina sehen wollen48. In Dr.
Canard sei, so hieß es mehrfach, kein anderer nachgezeichnet als Dr. Küffer,
der Straßburger Arzt, in dessen Diensten Grimmelshausen stand47. Bei der Jupiter
-Episode soll er Jesaias Rompier von Löwenthal im Sinn gehabt haben,
ein „Mitglied der von ihm gern verspotteten preziösen Straßburger Tannengesellschaft
"48. Wo der Dichter exempelhaft gestaltet, sind Hinweise dieser Art
bedeutungslos; sie bleiben leere Spekulation.
In einer Reihe von Grimmelshausen-Darstellungen ging man indessen sogar weiter
: In Stimmungen und Empfindungen des Romanhelden glaubte man Erfahrungen
, persönliche Erlebnisse und besondere Eigenschaften des Autors festhalten zu
können. So schloß man z. B. von der Hexenverbrennung, die im Roman geschildert
wird, unmittelbar auf die Kindheit Grimmelshausens zurück und erklärte:
„Sein entsetzlichster Kindheitseindruck scheint eine Hexenverbrennung in Gelnhausen
gewesen zu sein."49 An anderer Stelle wurden drastische Darstellungen
aus der Nähe des elterlichen Wohnhauses zum Diebs- und Hexenturm erklärt50.
Von der kritischen Haltung des Romanhelden gegenüber dem Soldatenleben leitete
man eine „herbe, fast hochfahrende Gesinnung", „ein herrisches Wesen"51
Busse, Grimmelshausen, S. 70—71.
W Busse, Grimmelshausen, S. 35.
17 Schölte, Der Simplizissimus, S. 140.
*8 Julius Petersen: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. 1622—1676. In: Die Ortenau 42 (1962),
S. 24—41; S. 37.
49 Busse, Grimmelshausen, S. 6
50 Könnecke, Quellen, Bd. 1, S. 123.
■51 Busse, Grimmelshausen, S. 11.
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