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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
53. Jahresband.1973
Seite: 65
(PDF, 57 MB)
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Zeit". Den Krieg stelle er als „Folge brutaler Interessen dar", an dessen Fortsetzung
nur diejenigen interessiert seien, „die an ihm verdienen". Vom Standpunkt
der „unterdrückten Klassen aus" durchschaue er den „Aufbau und das
innere Gefüge der Feudalgesellschaft" mit großer Klarheit. Und sein Christentum
sei nicht bürgerlich, sondern „ausgesprochen bäuerlich, plebejisch", ohne einer bestimmten
Konfession verpflichtet zu sein. Einen revolutionären Weg zur „Umgestaltung
dieser als ungerecht und grausam erkannten Ordnung" habe es für Grimmelshausen
jedoch nicht gegeben. Und im Hinblick auf das bekannte Wiedertäufer
-Kapital des „Simplicissimus" heißt es: „So blieb dem großen Dichter nur
die visionäre Aufhebung der Gegenwart im revolutionären Traum: Das utopische
Leben, das Grimmelshausen träumt, ist ein Leben, das den bislang Unterdrückten
Gerechtigkeit und Freiheit gibt."67

Konträrer könnten die Positionen nicht sein, ihre politisch-ideologische Zweck-
bezogenheit nicht offenkundiger. Legende ist das eine wie das andere, eine Legende
, in der Biographisches, Landschaftliches, Literarisches, Gesellschaftliches und
Politisch-Weltanschauliches auf kaum entwirrbare Weise vermengt sind. Ausführungen
über die politisch-weltanschaulichen Voraussetzungen dieser Legendenbildung
erübrigen sich; sie liegen auf der Hand. So kann es im folgenden nur darum
gehen, dem Legendären Forschungsergebnisse gegenüberzustellen, mit der Absicht,
ein Grimmelshausen-Bild zu skizzieren, das der Wirklichkeit näher kommt.

Dichtung und Bildung

Den einseitigen und tendenziösen Festlegungen gegenüber, die Elemente des Werkes
in die Biographie interpolieren, Fakten unterschlagen, Zusammenhänge erfinden
und politisch-weltanschauliche Vorstellungen und Absichten des 19. und
20. Jahrhunderts dem 17. Jahrhundert unterstellen - diesen einseitigen Festlegungen
gegenüber muß heute dem Bemühen Geltung verschafft werden, das historisch
Gesicherte festzuhalten, neue Fakten nicht nur im biographischen Bereich zu
erschließen und das Werk und die Gestalt im geschichtlichen Zusammenhang der
Zeit neu zu deuten und zu verstehen. Die Frage von Grimmelshausens Bildungsstand
spielt dabei eine entscheidende Rolle. Das Bild von dem einfachen, ungebildeten
Mann aus dem Volk, der, naiv und nur seinem „Naturtalent"68 vertrauend
, Selbsterlebtes niederschreibt, ist nicht mehr haltbar. An „naturwüchsige
Schriftstellerei"69 und „unbewußte Genialität"70 kann man nicht mehr ohne weiteres
glauben. Man erkennt, daß Äußerungen, wie sie in der Vorrede zum „Satyrischen
Pilgram" stehen, nicht länger auf den Dichter selbst bezogen werden dürfen
: Daß „er selbst nichts studirt, gelernt noch erfahren" habe, trifft nicht zu.
„Unwissender Esel / Ignorant und Idioth"71 - so wird man ihn nicht bezeichnen

67 Boeckh, Geschichte, S. 459, 462, 464, 461, 466, 464.

68 Wolfgang Pfeiffer-Belli: Geschichte der deutschen Dichtung. Freiburg 1954, S. 315.
6» Pfeiffer-Belli, Geschichte der deutschen Dichtung S. 315—316.

70 Burger, Annalen der deutschen Literatur, S. 384.

71 Grimmelshausen, Gesammelte Werke, Bd. 7, S. 6.

5 Ortenau 1973

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