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können. Er ist kein reiner „Fabulierer"72 oder Dorfphilosoph; er ist nicht „the
uneducated man"73.
Wenn wir auch für die früheste Jugend keine konkreten Daten besitzen, so ist es
doch nicht zulässig, Grimmelshausen als einen Ungebildeten, geistig und sozial
der Unterschicht zugehörigen Autor, als „Sprecher der plebejischen Schichten"74
zu bezeichnen. Vieles deutet darauf hin - und Untersuchungen wie die von Heining75
und Weydt76 haben dies in jüngster Zeit nachgewiesen - daß Grimmelshausen
eben doch „der Lateinschule in Gelnhausen" und nicht so sehr dem „Leben
"77 seine Bildung verdankt. Sechs bis sieben Jahre hat er wohl die Stadtschule
besucht, auf der nach den überlieferten Lehrplänen der Zeit recht gute Kenntnisse
vermittelt wurden. (Der Krieg hat das Schulwesen nicht so stark beeinträchtigt
, wie man vermuten möchte.) Grimmelshausen hatte gute Lateinkenntnisse;
seine Werke geben keineswegs Anlaß, ihm diese abzusprechen oder sie als „dürftig
"78 zu bezeichnen. Sie liegen - so Weydt - „auf gehobener Mittellinie"79. Grimmelshausen
konnte offensichtlich auch etwas Griechisch. Die Möglichkeit, daß er
etwas Französisch verstand, kann man nicht ausschließen80. Die erwähnten Bibelzitate
weisen auf erstaunlich gute Bibelkenntnis hin. Weydt betont darüber hinaus
, daß er sich „auf dem Gebiet der Astrologie selbständig und mit ziemlicher
Sicherheit bewegt hat"81. Der Hinweis im Totenregister, daß er „et magno ingenio
et eruditione", ein hochbegabter und umfassend gebildeter Mann gewesen sei,
trifft ohne Zweifel zu82.
Im Zusammenhang mit der Frage nach der Bildung des Dichters wird man auch
die Tätigkeit in der Offenburger Kanzlei berücksichtigen müssen, die zweifellos
für die Ausbildung und Weiterbildung nützlich war. Mit Recht wurde besonders
auf die Bedeutung eines Mannes wie den Regimentssekretär Magister Witsch hingewiesen83
.
Darüber hinaus hatte Grimmelshausen gewiß Zugang zu einigen Bibliotheken. Es
blieb ganz sicher nicht bei einem einzigen Folianten, dessen Kenntnis und Besitz
ihm Schölte konzedieren will84. Es sei an die Jahre auf der Ullenburg in den
72 Zitiert nach Günther Weydt: Nachahmung und Schöpfung im Barock. Studien um Grimmelshausen.
Bern und München 1968, S. 32.
'3 Curt von Faber du Faur: German Baroque Literature. A Gatalogue of the collection in the Yale
University Library. 1958, S. 286.
74 Boeckh, Geschichte, S. 448.
75 Willi Heining: Die Bildung Grimmelshausens. Phil. Diss. Bonn 1965.
76 Weydt, Nachahmung und Schöpfung im Barock, S. 20—43.
77 So noch de Boor-Newald, Bd. 5, S. 371: „Dem Leben und weniger der Lateinschule in Gelnhausen
verdankt Grimmelshausen seine Bildung."
78 Schölte, Der Simplicissimus, S. 140.
79 Weydt, Nachahmung und Schöpfung im Barock, S. 27.
80 Weydt, Nachahmung und Schöpfung im Barock, S. 27—28.
81 Weydt, Nachahmung und Schöpfung im Barock, S. 34.
8- Weydt, Nachahmung und Schöpfung im Barock, S. 32; Boeckh, Geschichte, S. 449.
83 Vgl. dazu Johannes Alt: Grimmelshausen und der Simplicissimus. München 1936.
84 Jan Hendrik Schölte: Zonagri dtscurs von waarsagern. Amsterdam 1921, S. 150: „Wir müssen uns also
Grimmelshausen bei seinen schriftstellerischen Übungen vorstellen, wie er einen mehr als dreißig Jahre
alten Folio-Band vor sich liegen hatte. . . . Der dickleibige Band ersetzte ihm eine ganze Bibliothek."
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