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an ihr empor. Am linken Ende öffnet sie sich in einer stattlichen Gartenpforte
, deren Pfosten eine kleine Überdachung tragen, die in Höhe und
Breite ein gutes Pendant zu dem Steinwürfel rechter Hand bildet. Hinter
der Bretterwand, bis in Brusthöhe von ihr verdeckt, werden die jüdischen
Häscher sichtbar. Sie ziehen von rechts heran — wieder hat man ganz den
Eindruck der Bühne — und haben beim Anblick des Heilands zum Teil
Halt gemacht, um ihre Waffen in Bereitschaft zu setzen und mit fragender
Gebärde teils einander, teils ihr Opfer anzuschauen. Offenbar ist es ihnen
wenig wohl zu Mut dem frommen Beter gegenüber, der in seiner inbrünstigen
Andacht sie gar nicht bemerkt; vortrefflich hat der Künstler durch
diesen Zug die feige Heimtücke des ganzen Überfalls zum Ausdruck gebracht
. Durch die weit aufgestoßene Gartenpforte, deren altertümliches
Schloß- und Riegelwerk bis ins Kleinste getreu wiedergegeben ist, drängen
bereits die Schergen ein: noch einen Augenblick, und die verräterische
That vollzieht sich. Allen voran schleicht Judas in den Garten; mit der
Rechten hält er den unvermeidlichen Geldbeutel, die linke Hand zieht
das lange Gewand etwas hoch, so daß die zierlich wie zum Tanz gesetzten
Füße sichtbar werden. Das leise Heranschleichen des Verräters wird dadurch
, freilich ein wenig unbeholfen, angedeutet. Judas ist, und gewiß
nicht ohne Absicht, auffallend klein und unansehnlich gebildet; gleichwohl
hebt er sich von den nachfolgenden Schergen als ein Wesen höherer
Gattung ab. Denn während sich uns jene nach Antlitz und Gewandung
als echte Kinder des 16. Jahrhunderts darstellen, bemerken wir an Judas
und in noch höherem Maße an Jesus und den drei Aposteln eine ideale
Gesichtsbildung und eine Art von klassischem Kostüm. Weit und faltig,
wie ein Talar, fließt der lange Mantel um die Leiber der Heiligen, die Gesichter
aber zeigen über die Natur geformte Züge und ein überreichliches,
stilisiertes Lockenhaar. Ganz anders die Schergen. Wie die Juden zu Jesu
Zeiten bekleidet und bewaffnet waren, das wußte im 16. Jahrhundert in
Deutschland niemand; ohne Skrupel kostümirte man sie wie die eigenen
Zeitgenossen. Dieser Anachronismus, vor dem bekanntlich selbst ein Dürer
nicht zurückschreckte, hatte auch für unsern Meister nichts Bedenkliches.
Und so entfaltete er in seinen Häschergestalten ein detailirtes Kostümbild
seiner Zeit. Da sehen wir neben Platten- und Kettenpanzern gesteppte
Lederwämse und offene Leibröcke, neben Helmen mit und ohne Visier
eine bunte Mannigfaltigkeit von Hüten und Mützen. Ebenso unerhört für
Zeitgenossen Jesu sind zu einem guten Teil die Waffen und Geräte, welche
die Häscher mit sich führen. Gegen den Strick, welchen der tölpelhafte
Mann neben Judas (Malchus?) zur Fesselung bereit hält, ist nichts einzuwenden
. Desgleichen hat die Feldflasche, aus der sich der hinterste Mann
für das Abenteuer guten Mut trinkt, streng genommen auch für einen
Stadtpolizisten aus Jerusalem nichts Auffallendes, so specifisch deutsch sie
uns auf den ersten Blick anmutet. Aber drollig macht es sich, wenn einer
der Häscher die Kurbel einer Armbrust dreht, ein anderer einen eisernen
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