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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1976/0065
des Simplicissimus. Der Einsiedler belehrt dort den leseunkundigen Simplex
, daß nicht die Bilder in der Bibel, sondern die Schrift zu ihm gesprochen
hätte. Liebes Kind, heißt es dort, diese Bilder können nicht reden,
was aber ihr Tun und Wesen sei, kann ich aus diesen schwarzen Linien
sehen, welches man lesen nennet .. . Das für die kindliche Phantasie —
und nicht nur für diese — eindrücklich „sprechende" Bild, sein Tun und
Wesen wird erst durch den dazugehörigen Text voll verständlich. Der
Text ist das wichtigere, er wird durch das Bild erläutert, jedenfalls nach
Meinung Grimmelshausens.

Die Beziehungen zwischen den schwarzen Linien des Textes und Tun und
Wesen der Bilder des modernen Graphikers sind jedoch sehr verschiedenartig
, sie entstehen in einem aktiven Prozeß künstlerischer Gestaltung,
an dessen Beginn sein persönliches Leseerlebnis — genau wie bei jedem
„Nur-Leser" — steht. Das dichterisch geformte Motiv einer Romanstelle,
die von dieser in der Phantasie heraufbeschworenen Bilder werden von
dem Künstler wie bei einem Dolmetscher in eine andere Sprache „übersetzt
", in die ihm zu Gebote stehende Bildsprache.11 Während dieses
Übertragungsvorgangs verhält sich ein bildender Künstler dem „Urtext"
gegenüber jedoch viel freier als ein „Sprachübersetzer", dessen Ausdrucksmedium
immer eine — wenn auch andere — Sprache bleibt. Seine
Mittel bieten ihm völlig andere Möglichkeiten der Veranschaulichung von
Bildinhalten wie das Wort und gestatten ihm deshalb ein viel freieres
Verhältnis zu Form und Inhalt der Dichtung, ohne daß er die Beziehung
zu ihr aufgeben müßte. Er kann z. B. Dinge in seinen Illustrationen zum
Ausdruck bringen, die dort nur andeutungsweise oder in einer tieferen
Sinnschicht mitenthalten aber nicht ausdrücklich formuliert sind. Er kann
sich dabei weit entfernen von einer reinen Veranschaulichung der im
Text bereitgestellten Bildlichkeit und zu einer interpretierenden Aus- und
teilweise sogar Umdeutung des Erzählgehaltes gelangen. Darum die Wahl
des Untertitels: Illustration und Interpretation.

So sind die modernen Illustrationen zu Grimmelshausen nicht nur ein für
uns willkommener Bildkommentar der geschilderten Vorgänge mit ästhetischem
Genuß, sondern geben uns zugleich wichtige Aufschlüsse zu der
jeweils neuen Aktualität seiner Werke.

Es war Max Klinger, der 1881 vier Blätter zu den ersten Kapiteln
des Simplicissimus radierte und mit ihnen das erste uns bekannte wirkliche
Echo in der modernen Graphik auf die Dichtung zeigt.12 Seine Arbeiten
gehören zu der frühen Graphikmappe Intermezzi. Er nennt sie:
Simplici Schreibstube, Simplicius am Grabe des Einsiedlers, Simplicius
unter den Soldaten und Simplicius in der Waldeinöde. Es dominiert die
Landschaft; ein dichter unheimlicher Wald, dem ein Übergewicht den Personen
gegenüber zukommt. Dieser Wald wird von Grimmelshausen nicht
geschildert, auch wenn er im 5. Kap. des I. Buches für den herumirrenden

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