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zeigen, wie die geistreich und leicht schaffende Hand eines Malers die
Gestalten des Dichters aufnimmt und wiedergibt, um Heinrich Heine zu
zitieren.22
Die Zeichnungen von Gerhart Kraaz zur Buchausgabe der Courasche von
1970 der Büchergilde Gutenberg sind ein besonders interessantes und ge-
lunges Beispiel für die treffende Charakteristik einer Romangestalt durch
den Illustrator, eben im Sinne Heines. Kraaz findet in seiner vehementen
Strichführung, die sich oft in nervösen Ballungen verdichtet und von un-
konturierten Schattenzonen in schwarzer Kreide überlagert wird, ein adäquates
graphisches Ausdrucksmittel für das ungestüme Wesen der Erz-
betrügerin, die sich erdreistet, durch die Veröffentlichung ihrer Lebensgeschichte
dem Simplicissimus zu trotzen.
In über 30 Bildern schildert Kraaz die Heldin in aggressiver Bewegtheit,
fast immer in spannungsgeladener Erotik, wild, ungestüm mitten im
Handlungsgeschehen. Titel- und Schlußbild jedoch zeigen, daß Kraaz den
Romangehalt nicht nur in der Veranschaulichung des Geschehensablaufs
zu erfassen sucht. Hier dringt er zu einer allgemeinen Sinnschicht vor. Im
Titelbild (Abb. 17) zeigt er Courasche als gestiefeltes Weib mit Hosen, mit
dem Stier an der Leine und einem Globus darüber, nachdem er die Vorzeichnung
(Abb. 16) „Courasche zwischen Stier und Tod" verworfen hat.
Der volle Sinngehalt dieser Darstellung bliebe zu untersuchen. Hier soll
nur die Frage gestellt werden, ob die Frau mit dem domestizierten Stier,
über den Romangehalt hinaus anspielen soll auf den im Zeitalter der
Emanzipation der Frau nicht mehr gültigen Mythos der von Zeus in der
Gestalt des Stiers geraubten Europa. Enzensberger in seinem Kommentar
zu dieser von Kraaz illustrierten Ausgabe macht den Leser bezeichnenderweise
darauf aufmerksam, daß es sich bei dieser Romanheldin um das
einzige Beispiel in der deutschen Literatur handelt, in der die Frau als
die durchgehend Aktive, das Geschehen an sich Reißende dargestellt ist.
Im Schlußbild (Abb. 18) konzentriert Kraaz den Blick auf die altgewordene
aber durch das Schicksal nicht gebeugte Frau, neben ihrem ebenfalls
altgewordenen schon skeletthaft wirkenden Gaul. Beide jedoch erhobenen
Hauptes! Das Bild könnte auch neben der alten Titelei stehen, faßt es
doch den von der Courasche selbst gewollten und bestimmten Tenor ihrer
Lebensbeschreibung eindrucksvoll zusammen. Da sie aber das letzte Wort
behaltend, am Schluß nach der Zugab des Autors und dem Wörtchen
ENDE noch einmal Wahrhaftige Ursach und kurzgefaßte(n) Inhalt dieses
TrdkXätleins selbst (allerdings in dritter Person und damit die Objektivität
eines Nachworts ironisierend) zusammenfaßt, steht die Illustration
hier ebenso am richtigen Ort:
Demnach die Zigeunerin Courage aus Simplicissimi Lebensbeschreibung
lib. 5 cap. 6., vernimmt, daß er ihrer mit schlechtem Lob gedenkt, wird sie
dermaßen über ihn erbittert, daß sie ihm zu Spott, ihr Selbsten aber zu
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