http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1977/0144
Das ottonische Mosaik von Schuttern
Von Johannes Werner
Immer wieder erweisen sich die Archäologen als wirkliche und würdige Nachfahren
der Schatzgräber, wie sie sonst nur noch das Märchen kennt; und so
haben auch die Grabungen im Bereich der alten Reichsabtei Schuttern wieder
einen wertvollen Fund zutage gefördert, der hier (nachdem von ihnen und von
ihm an anderer Stelle schon ausführlich die Rede war') ein weiteres Wort
verdienen soll: damit seine Bedeutung um so deutlicher werde.
Es geht also, nach seiner Auffindung, um das bisher älteste deutsche Bildmosaik
: um die Fragmente eines Medaillons, welches in Schuttern, dem damaligen
Offoniscella, in ottonischer Zeit angebracht worden war, um das damals
erneuerte Grab des Gründers Offo würdig einzufassen. Dieses selber und
das es umgrenzende Innere des Bildes sind zerstört, vernichtet oder verloren;
aber erhalten, und zwar in erstaunlicher Güte und Größe, sind zwei seiner
äußeren Partien, nämlich je eine zur Linken und zur Rechten. Davon zeigt
(oder zeigte) die eine, wie Kain und Abel ihre Gaben erheben; und die andere,
wie Abel von Kain erschlagen wird. Über die sonstige Beschaffenheit dieses
Fundes, zumal was Herkunft und Zustand betrifft, steht schon alles in der sehr
genauen Beschreibung des Finders geschrieben — nur noch nichts über die
Bedeutung des Dargestellten, die denn auch zunächst so verborgen liegt wie
zuvor die Darstellung selbst es war. Denn es ist doch wohl seltsam, daß die
fremde, seltene und erlesene Kunst des Mosaiks hier aufgeboten wurde, um das
hochverehrte Reliquiar ausgerechnet mit dem Bild des ersten Verbrechens, ja
Mordes, ja sogar Brudermordes zu schmücken; wie paßt das zusammen?
„Adam erkannte sein Weib Eva. Sie empfing und gebar Kain. (...) Und sie
gebar nochmals, seinen Bruder Abel. Abel wurde ein Schafhirt, Kain aber
wurde ein Ackerbauer. Nach geraumer Zeit geschah es nun, daß Kain von den
Früchten des Feldes Jahwe sein Opfer darbrachte. Auch Abel brachte sein
Opfer dar von den Erstlingen seiner Herde, und zwar von den Fettstücken.
Jahwe schaute gnädig auf Abel und sein Opfer. Auf Kain und sein Opfer
aber schaute er nicht. Deshalb wurde Kain sehr zornig und senkte sein Angesicht
. Da sprach Jahwe zu Kain: ,Warum bist du zornig und senkst du dein
Angesicht? Wenn du recht handelst, erhebst du nicht das Haupt? Wenn du
aber nicht recht handelst, ist dann nicht die Sünde an der Tür, ein lauerndes
Tier, das nach dir verlangt und das du beherrschen sollst?' Indessen sprach
Kain zu Abel, seinem Bruder: ,Laßt uns aufs Feld gehen!' Als sie aber auf dem
Feld waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot."
(Gen 4,1—8).
1 Karl List, Die Reichsabtei Schuttern. Ergebnisse der Grabungen in den Jahren 1972 bis 1975. In:
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3/1975, S. 107—116; ders., Ein deutsches Bildmosaik aus
ottonischer Zeit in der Alten Reichsabtei Schuttern. In: Die Ottenau 56 (1976), S. 146—157.
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