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Jedenfalls ist klar und steht fest: das Bild von Schuttern steht für mehr als
nur für sich selbst; als eins aus dem Alten Testament ist es transparent auf
eins aus dem Neuen, oder gar auf deren mehrere, die ihm erst seinen eigentlichen
Sinn verleihen. 4
Erst einmal sollte der Gegensatz zwischen Abel und Kain (also dem guten und
dem schlechten, dem rechten und dem falschen Opfer) vorausdeuten auf den
zwischen Ecclesia und Synagoge, Christentum und Judentum.
Von daher war es dann nicht mehr schwer, Abel selbst als biblische Präfigu-
ration des von seinen jüdischen Brüdern getöteten Christus (und Kain als die
des Judas) zu verstehen; zumal auch Abel, gerade auch in dem Doppelbild von
Schuttern, als Opfernder und Opfer zugleich vorgestellt wird. Und hätte eben
dieses Bild nicht das (in keinem anderen je verwendete!) Beil beim Mord, so
ließe sich hier mit noch größerem Recht ein Satz des Honorius von Autun
zitieren, der den typologischen Zusammenhang ganz deutlich macht: „Abel
wird mit einem Holz erschlagen, Christus wird an ein Kreuzesholz geheftet";5
wie denn überhaupt schon die altchristlichen Schriften, besonders die der Kirchenväter
, eine Fülle solcher Beziehungen und Bedeutungen aufgefunden haben
. 6
Auf einem Mosaik im venezianischen San Marco erscheint Abel, der erste Hirte,
überdies mit einem geschulterten Lamm, seinem Opfer, und derart als Hinweis
auf Christus, den guten Hirten, und Christus, das Opferlamm.
Auf einem Mosaik in San Vitale sind die Opfer von Abel und Melchisedech,
auf einem anderen in San Apollinare (beide in Ravenna) die von Abel und
Abraham zusammen dargestellt; insgesamt galten sie wiederum als vorbildhafte
Vorspiele zum Opfer Christi und besonders zu dessen Vergegenwärtigung
im Sakrament der Eucharistie, weshalb eben Abels Opfer oft auf Altären und
Altargeräten vorkommt. Und im Meßkanon wird mit den folgenden Worten
täglich um Annahme des Meßopfers gebetet: „Schaue huldvoll darauf nieder
mit gnädigem und mildem Angesichte, und nimm es wohlgefällig an, wie Du
einst mit Wohlgefallen aufgenommen hast die Gaben Abels, Deines gerechten
Dieners, das Opfer unsres Patriarchen Abraham, das heilige Opfer und die
makellose Gabe, die Dein Hoherpriester Melchisedech Dir dargebracht hat."
Kaum ein biblisches Motiv also, das zeigt sich schon hier, wäre besser geeignet
als dieses, um — wie in Schuttern — den Raum vor dem Altar zu schmücken;
dem Altar, welcher als Symbol Christi verstanden, und auf welchem Christi
Opfertod im Meßopfer täglich neu vollzogen wurde. Zumindest daran sollte
die Darstellung Abels stets erinnern; zumal und zugleich aber auch an den,
4 Vgl. von nun an: Karl Künstle, Ikonographie der christlichen Kunst Bd. 1. Freiburg 1928, S. 280 f.;
Louis Reau, Iconographie de l'art chretien Bd. 2/1. Paris 1956, S. 94—97; Engelbert Kirschbaum
(Hrsg.), Lexikon der christlichen Ikonographie Bd. 1. Rom—Freiburg—Basel—Wien 1968, Sp. 5—10;
Hans Aurenhammer, Lexikon der christlichen Ikonographie Bd. 1. Wien o. J., S. 8 f.; Josef
Höfer/Karl Rahner (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 1. Freiburg 1957, Sp. 13; dass.
Bd. 5. Freiburg 1960, Sp. 1240 f.
5 Zit. nach: Reau, a.a.O. S. 96 (dort nur lat.).
6 Die Vielzahl der theologischen Werke (wie übrigens auch die der künstlerischen) macht es hier unmöglich
, Einzelnes anzuführen, und nötig, nochmals auf das in Anm. 4 Angegebene hinzuweisen.
Immerhin aber erhellt die Bedeutung des Kain-Abel-Themas daraus, daß so bedeutende Autoren wie
Augustinus, Irenaeus, Isidor von Sevilla und Gregor (I.) der Große mit ihm sich auseinandergesetzt
haben — Ambrosius sogar in einem eigenen Traktat (,De Cain et Abel').
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