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eingekerkert wurde.21 Zum anderen ist in den zwanziger Jahren des Jahrhunderts
von sittlichem Fehlverhalten des Abtes Philipp von Eselsberg zu hören,
der im Lahrer Stift eine „Metze" gehalten haben soll, was zu damaliger Zeit
allerdings keine Ausnahme, sondern weit verbreitet und für das Volk nicht
mehr ernsthaft anstößig war.22
Neben diesen Mißständen gab es aber auch Anzeichen wachsender religiöser
Überzeugung, namentlich beim einfachen Volk. So blühte um 1500 die Wallfahrtstätigkeit
an der Gengenbacher St. Einbethenkapelle auf. Religiöse Kunst
war hoch geschätzt, was sich auch an der gesteigerten kirchlichen Bautätigkeit
in der Ortenau ablesen läßt. In Gengenbach zeugt hiervon das 1505 geschaffene
Frauenchörlein mit der Grabkapelle.
Ein weiteres Indiz für die religiös-geistige Regsamkeit der damaligen Menschen
sind die zahlreichen Bibelausgaben, die besonders in Deutschland bereits vor
der Reformation in der Landessprache erschienen waren.23 In Straßburg, das
im frühen Buchdruck einen besonderen Rang einnimmt, ist vor 1500 eine deutsche
Bibelübersetzung mehrmals gedruckt worden. Man kann wohl annehmen,
daß auch im nahen rechtsrheinischen Offenburg und Gengenbach Bibelleser
wohnten.
In der Landvogtei Ortenau und in der Stadt Gengenbach gab es eine Spannung
zwischen religiöser Aufnahmebereitschaft seitens des Volkes und Mißständen
im seelsorgerlichen Angebot. Die Menschen sahen die Notwendigkeit einer Kirchenreform
an Haupt und Gliedern und waren auch bereit, sich dafür einzusetzen
. Die Reformation, die vom Volk zunächst als innere kirchliche Reform
verstanden wurde, erreichte die Stadt Gengenbach, als die moralische und religiöse
Haltlosigkeit der meisten Klostergeistlichen auf der Spitze stand.
2. Der Beginn der Reformation in den umliegenden Gebieten
a) Das frühe Auftreten der neuen Lehre in Straßburg 24
In Straßburg fanden die reformatorischen Lehren Luthers schon frühzeitig Eingang
. Ihre Verbreitung wurde begünstigt durch den damals hohen Entwicklungsstand
des dortigen Buchdrucks. Bereits 1518 wurden Luthers Thesen vom
31. Oktober 1517 an Straßburger Kirchentüren und Pfarrhäusern angeschlagen.
Im Jahre 1519 erschienen die ersten vier Nachdrucke der Lutherschriften, die
in den folgenden Jahren noch viel zahlreicher wurden, obwohl das Wormser
Edikt von 1521 die Vernichtung der Schriften Luthers angeordnet hatte.
Von Anfang an entfaltete die Stadt eine für die reformatorische Bewegung
bedeutende Tätigkeit, die sie bald zu einer der führenden Städte im aufkommenden
Protestantismus werden ließ. Im März 1521 trat der erste reformatorische
Prediger Matthias Zell mit lutherischen Gedanken auf die Kanzel und
legte den Römerbrief aus. Versuche des Straßburger Bischofs, seinem Tun Einhalt
zu gebieten, scheiterten. Und als Capito, Bucer und Hedio 1523 nach Straßburg
kamen und der reformatorischen Bewegung beitraten, erhielt diese erheblichen
Aufwind. Der Rat der Stadt erließ noch am 1. Dezember des gleichen
Jahres eine Ratsverordnung, die für die Prädikanten die Weisung beinhaltete:
„Daß Ihr und alle die, so sich Predigens in unserer Stadt und Oberkeit unterziehen
und gebrauchen, auf allen Canzlen nichts anders, dann das heylig Evan-
21 Ph. Ruppert, Beiträge zur Geschichte des Klosters Gengenbach, in: ZGORh 31 (1879) S. 315—331 und
32 (1880) S. 309—320.
Die Beilegung des Streites: GLA 30/63 1506 Dezember 6.
22 F. Bauer, Reformation und Gegenreformation in der Herrschaft Lahr-Mahlberg, Lahr 1914, S. 22 f.
23 R. Bäumer, a.a.O. S. 278.
24 Vgl. J. Adam, Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg, Straßburg 1922, S. 25—41 u. 50—92;
A. M. Burg, Die alte Diözese Straßburg von der bonifazischen Reform (ca. 750) bis zum napoleonischen
Konkordat (1802), in: FDA 86, (1966) S. 290 f.
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