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einem Kranken, und es dort segnen, gleich wo es ist und zu welcher Zeit. Mit
vielen Leuten spricht er darüber, daß Brot und Wein nicht Fleisch und Blut
Christi seien, sondern nur Zeichen.
3. Von der Taufe sagen er und seine Helfer, daß man das Wasser vorher nicht
zu verzaubern brauche, „wie bisher geschehen sey". Es sei deshalb nicht nötig,
verzaubertes (gemeint ist gesegnetes) Wasser zu brauchen, weil doch schon vorher
alle Wasser gesegnet seien „nach dem exempel christi", dem man vorher
auch nicht das Wasser verzaubert habe, als er sich im fließenden Wasser des
Jordans habe taufen lassen.
4. Wenn sie taufen, gebrauchen sie nicht den alten Brauch der Kirche, sondern
sprechen alles deutsch, was bisher lateinisch gesprochen wurde. Chrisam und öl
benutzen sie nicht. Wer sich darüber ärgert, dem sagen sie, wenn es gerne gewünscht
werde, schütten sie ein ganzes Gefäß voll öl über die Kinder, „zu ainer
schmach" für Chrisam und hl. öl.
5. Der Pfarrer hat neulich auf St. Ottmarstag den Kirchengesang „so man zu
Straßburg pflegt", in seiner Pfarrkirche zu singen angefangen, „aber die von
gengenbach haben es abgestellt".
6. Als Michel Kieffer mit seiner Hausfrau in die Kirche ging, um zu beichten,
ist er durch den Leutpriester daran gehindert worden.
7. Als Silvester der Scherer am Freitag vor Simon und Judas sein Kind taufen
ließ, hat der Pfarrer kein Chrisam gebraucht, sondern bei seinem Herrn Martin
befohlen, das Taufwasser auszuschütten und ein anderes zu tragen (holen).
Er hat auch kein Fronamt mehr.
8. Am Sonntag nach Ottmari hat er öffentlich auf der Kanzel gesagt, er habe
bisher oft „ein Rat gebetten im zu helffen die gottlosen messen abzustellen",
damit aber „nit verfangen" (nichts erreicht). Deshalb bitte er jetzt die Gemeinde,
ihm dabei zu helfen.
9. Er hat auch auf der Kanzel am anderen Sonntag nach Ottmari gesagt, es
solle einer eher Schuhe mit eisernen Beschlägen kaufen und diese „zerlauffen"
und eher zum Ende der Welt laufen, als eine Messe hören.
Die gravierenden Vorwürfe gegen den Pfarrer und seine Helfer werden hier
deutlich. Von altkirchlichem Brauchtum und traditioneller Lehre und Theologie
waren diese schon weit entfernt bzw. lehnten sich dagegen auf. Bemerkenswert
ist ferner, daß die Stadt bzw. der Rat sich zu diesem Zeitpunkt kaum um theologische
Fragen wie die Abschaffung der Messe zu kümmern schien, obwohl er
doch schon ein Jahr zuvor für Anstellung und Besoldung der Prädikanten eingetreten
war.
Der Einfluß Straßburgs ist nicht zu verkennen: sowohl was die Einführung
des Straßburger Kirchengesangs anbelangt als auch die theologische Deutung
von Brot und Wein als bloße Zeichen.56
Auf diesen Brief hin forderte der Straßburger Bischof am 23. Januar 1527 die
Stadt Gengenbach auf, dem Leutpriester Predigt und Pfarrtätigkeit zu verbieten
. Doch bereits zwei Tage später erfolgte die Antwort der Gemeinde.57
Unter Berufung auf den Reichstagsabschied von Speyer vom 27. August 1526,
der den Reichsständen zugestanden hatte, daß sie „mit ihren Untertanen also
leben, regieren und sich halten, wie ein jeder solches gegen Gott und kaiserliche
Majestät hoffe und vertraue zu verantworten", und der Grundlage und Ausgangspunkt
dafür war, daß landesherrliche und städtische Obrigkeiten sich jetzt
56 Aus der Nähe zu Straßburg läßt sich schließen, daß auch eine Anlehnung an die dortige Theologie
stattgefunden hat, die, wie in evangelisch gewordenen Reichsstädten Oberdeutschlands allgemein, von
den Reformatoren Bucer und Zwingli geprägt war. Vgl. hierzu: B. Moeller, Reichsstadt und Reformation
, Gütersloh 1962, S. 34 ff.
57 GLA 119/1129 1527 Jan. 23 und Jan. 25; Auszüge auch bei Batzer, a.a.O. S. 66—67.
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