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vnd houptartickel" unseres Glaubens sind. Zudem hat das Amt die Aufgabe, zu
mahnen und zu strafen, „den widerwertigen die meuler verstopffen", Mißstände
und Laster anzuzeigen und die beiden Sakramente zu verwalten und auszuteilen
. Der Lebenswandel der Prädikanten soll Vorbild und Abbild der Herde
Christi sein.
d) Diesem für die innere Organisation wichtigen Abschnitt folgen Verordnungen
für die Gemeinde. Veranlaßt durch die eingerissenen Mißstände, daß „am
Sontag zu predig vnd gebett zeyten" Geschäfte und Handel in der Stadt betrieben
werden und „dardurch die predig in der Pfarrkirchen versaumpt wurt",
ordnet der Rat an, daß sich jedermann am Sonntag zur Predigt einfinde und „für
der kirchen anligen pete". Wer sich ohne wichtigen Grund über einen längeren
Zeitraum (Monatsfrist) der Predigt entzieht, soll verwarnt und im Wiederholungsfalle
vom Rat bestraft werden. Sobald „man am Sontag in der Pfarrkirchen
zum ersten mal zusam geleuttet hatt", hat sich jeder auf den Weg zur
Kirche zu begeben. Es hat sich auch der Brauch gebildet, daß niemand mehr
am Sonntag seine Kinder zur „mittagpredig" und Kinderunterweisung ins Kloster
schickt. Diese Unsitte soll keineswegs gestattet werden. Die Möglichkeit,
am Dienstag, Donnerstag und Samstag die „wochenpredigen im Closter" zu besuchen
, wird dem guten Willen und Verstand der einzelnen empfohlen.103
e) Da der Rat erfahren hat, daß die Bewohner der umliegenden Täler hinsichtlich
des Glaubens eine „erschröcklich vnwissenheyt" zeigen, indem sie nicht einmal
das Gebet des Herrn, das Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote aufsagen
können, daß dort nicht nur die jungen Leute, „sonder auch die alten mit
diser vihischen groben vnwissenhayt" behaftet sind, ja, daß etliche das ganze
Jahr über nicht zur Predigt erscheinen und so „von Christlichen leben kain wort
wissen", schickt er Diakone und Prädikanten dorthin, damit diese zweimal im
Jahr die Leute auf den vom Rat dazu ausersehenen Plätzen visitieren.
f) Hinsichtlich der Kinderunterweisung befieht der Rat den Bürgern, ihre Kinder
alle Sonntage zur „kinderzucht" zu führen, und den Prädikanten, die Kinder
mit ernsthaftem Fleiß und verständlich zu unterweisen in Geboten, Gebet
und „artickel des glaubens". Zu diesem Zweck sollen die Prädikanten „ain
kurz, deutlich, verstendig handbüchlin mit ainicherley worten und gleych fragstücken
" verfassen und dann den Lesekundigen zum Abschreiben geben.104
Sonntag für Sonntag sollen die Prediger die Kinder eines jeweils anderen Tales
unterweisen. Die vom Rat bestimmten Diakone haben dabeizusein und zu prüfen
, ob die Prädikanten der Weisung des Rats gemäß handeln, andernfalls diese
bestraft werden.
Zur Spendung der beiden Sakramente ordnet der Rat an: Die Taufe hat nicht
heimlich, sondern vor der versammelten Gemeinde stattzufinden.
g) Wegen der unwürdigen Behandlung des Abendmahles und anderer Mißstände
muß eine Abendmahlsordnung erlassen werden: Die Leute sollen vom Ursprung
„aller abgöttery, der bapstmeß" Abstand nehmen, da diese eine Geringschätzung
(„verklainerung") des Leidens Christi darstelle, indem daraus ein gutes Werk
gemacht wird, um sich den Himmel zu verdienen. Wer sich von der Messe nicht
lossagt, „soll nit bößer von der Christlichen gmeind geacht werden, dann als er
öffentlich gott lestertte vnd sagte, Christus ist nit gsorben für vnsere sund, er
hat auch nit gnug thun vnd vnser schuld bezahlt". Ein solcher soll von den Gliedern
Christi gemieden werden. Der Rat behält sich eine Strafe für solche Frevler
vor. Kein Anhänger der Messe darf sich ohne Wissen der Prädikanten und
Aufseher dem Tisch des Herrn nähern.
Versucht man die Bedeutung der Gengenbacher Kirchenordnung als Quelle für
die Reformationsgeschichte der Stadt zu würdigen, so muß vorweg betont werden
, daß die Quellen für die Reformation allgemein nur spärlich erhalten sind
103 Offensidulidi haben also bereits 1538 im Kloster reformatorische Predigtgottesdienste stattgefunden,
wenn dies am Sonntag auch erst ab 1540 möglich wurde.
104 Ein deutlicher Hinweis auf den späteren Gengenbacher Katechismus!
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