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dafür einsetzen, daß die „arme Gemeinde" von Gengenbach ihren Prediger
Lucius Kyber behalten könne, damit sie neben der Messe und anderen Zeremonien
, „die sie nie abgestellt und zu denen zu gehen sie den ihrigen nie gewehrt
habe", auch noch die Predigt hören könne.
Doch der Graf verweigerte seine Unterstützung.156 Damit war das Schicksal
des Protestantismus in der Reichsstadt Gengenbach besiegelt. Die Prädikanten
verließen wohl noch im Jahre 1548 oder Anfang 1549 die Stadt. Genaueres hierüber
ist nicht bekannt.
Der neue Pfarrer von St. Martin, Cornelius Eselsberger, wurde zum Führer der
Gegenreformation. Er erwarb sich besondere Verdienste um die Wiedererrichtung
der Klosterschule, wie aus den Klosterchroniken hervorgeht.157
Daß er aber keinen leichten Stand hatte in der ehemals evangelischen Stadt
und daß er nach vielen Jahren harter Aufbauarbeit immer noch mit erheblichem
Widerstand in der Gemeinde zu kämpfen hatte, davon zeugt seine Streitschrift
, die er 1560 gegen Flugschriften verfaßte, die die Messe verhöhnten.158
Das Kloster kam nach dem Interim ebenfalls langsam wieder zu Kräften. Durch
große Sparsamkeit erreichte Abt Friedrich von Keppenbach einen wirtschaftlichen
Aufschwung. Aber auch in geistlich-religiöser Hinsicht machte das Kloster
Fortschritte. Es wurden jetzt nicht mehr nur Adlige, sondern auch wieder
Bürgersöhne in den Konvent aufgenommen. Die Zahl der Mönche nahm zu, die
nun im Dienste der Gegenreformation die umliegenden Pfarreien seelsorgerlich
wieder betreuen konnten.159
Zusammenfassung
Als Charakteristikum der Reformation in der Reichsstadt Gengenbach läßt sich m. E. folgendes festhalten:
1. Das Vorhandensein des Klosters in der Stadt, die Tatsache, daß die reich begüterte Abtei und die kleine
Stadt auf engem Raum nebeneinander existieren mußten, die daraus folgenden Spannungen und Streitigkeiten
wirtschaftlicher, kirchen- und machtpolitischer Art über Jahrhunderte hin, sowie der sittlichreligiöse
Zustand der Abtei am Vorabend der Reformation haben die Einführung und den relativ großen
Erfolg der Reformation in der Reichsstadt Gengenbach wohl entscheidend bedingt.
Vielleicht hat in den beiden benachbarten Reichsstädten Offenburg und Zell die Reformation deswegen
keine solche Bedeutung erlangt, weil es kein derartiges Kloster dort gab.
2. Von einer evangelischen Bewegung als Bewegung von unten, vom Volk aus, wie Kohls sie sieht, kann
in Gengenbach nach der Quellenlage kaum die Rede sein.
Vielmehr erscheinen die Prädikanten als die treibenden Kräfte. Sie waren profilierte Förderer der Reformation
, was auch ihre Berufung in andere Städte wie Ravensburg und Reichenweier zeigt.
3. Der Rat der Stadt Gengenbach bewegte sich in den Bahnen schon vorreformatorischer Kirchenpolitik,
die auf Abrundung und Fülle obrigkeitlicher Herrschaft zielte: z. B. Einsetzung, Unterhalt und Überwachung
der Prädikanten; Durchführung der Kirchenordnung und dadurch Kirchenhoheit in der Stadt;
Versuch, kirchlichen Besitz zusammen mit Graf Wilhelm von Fürstenberg an sich zu bringen; Errichtung
einer eigenen, evangelischen Schule, sowie die Sorge, daß das eigene Bekenntnis die ausschließliche
Glaubensform in der Stadt wurde. 160
Diese Politik war nicht gänzlich durch wirtschafts- und macht politische Momente bestimmt, sondern
auch aus religiöser Verantwortung heraus für die Untertanen.
4. Die Förderung der Reformation durch Graf Wilhelm von Fürstenberg war für Gengenbach nicht so
entscheidend wie für die Landvogtei Ortenau und die Herrschaft Kinzigtal. Die Bedeutung des Für-
stenbergers für die Reformation in Gengenbach läßt sich eher mit dem Begriff „Rückhalt" umschreiben.
156 MFFA I, Nr. 642; 1548 August 30.
157 Vgl. den Auszug aus dem Klosterprotokoll in GLA 202/441: „Fridericus a Keppenbach . . . iuven-
tutem in bonis literis educandam docto praeceptore Cornelio Eselspergero commendavit."
158 Krebs, Geschichte der Ortenau, a.a.O. S. 181/182.
159 Bereits Ende des Jahres 1548 konnte der Gengenbacher Abt einen Priester nach Steinbach schicken,
damit er dort die Messe halte. (MFFA I, Nr. 649; 1548 Dezember 17.)
160 Vgl. E. W. Zeeden, Das Zeitalter der Glaubenskämpfe, (= Gebhardt, Handbuch der dt. Geschichte,
Bd. 9, dtv-Ausgabe) München 1973, S. 143.
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