http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1977/0267
rocken Turmhelme, Turmzwiebeln „sehen aus wie dem Formsinn der Turbane
verwandt" 14 oder auch, „als könnten sie im alten Rußland gewachsen sein". 15
Unübersehbar ist der exotische, orientalische Einschlag im Barock; es bleibt die
Frage, woher er kommt, und auf sie gibt es mehrere Antworten: als kirchengeschichtliche
die Überseemissionen der Gegenreformation; als ökonomische der
Überseehandel des Merkantilismus; und als politische die Tatsache, daß das
barocke Europa an seiner Ostgrenze sich mit den Türken auseinandersetzte, sich
von den Slawen absetzte oder sie einbezog.
Immer noch bleibt die Frage, warum das Barock soviel Exotisches, Orientalisches
sich aneignete. Darauf läßt sich weniger leicht antworten, aber doch vielleicht
so: die herrschende, höfische Schicht des Barock (und nur in ihr fand
dergleichen statt) hatte alle erreichbaren Genüsse bis zum Überdruß ausgekostet
und suchte nun nach immer entlegeneren, erleseneren; vor allem aber suchte
sie im Orient ihre eigene Lebensform zu bestätigen, zu bekräftigen und zu
beglaubigen. Der „ausgesprochen orientalische Charakter, den die Lebenshaltung
der Fürsten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts angenommen hatte
", 17 schlug eine sympathetische Brücke der Wahlverwandtschaft von hier
nach dort. Es war (wie schon angedeutet) Luxus gleich Orient, Orient gleich
Luxus, und es ist auf diese Identifikation die Probe, daß (wie in Favorite) der
Luxus auch noch in Formen des Orients erscheint. „Das Barock ist eine Spielart
des ewig Asiatischen: ein Stil der autoritärsten Herrschaftlichkeit, der absolutesten
Souveränität, die über die Häupter der Menge flutet." 18
Es liegt eine überaus logische Konsequenz darin, daß sich jenes chinesische
Zimmer im böhmischen Gebäude auf badischem Gebiet befindet; denn das östliche
Böhmen, das westliche Baden waren etwa die Grenzmarken des alten
Reiches — und zugleich des barocken Stils: jenseits ihrer hat er nie richtig
Fuß gefaßt.19 Derart erweist sich Schloß Favorite als eine konzentrierte Geographie
des Barock; als Konzentrat von dessen Umfang in europäischer Wirklichkeit
und asiatischem Traum.
Es wäre ungemein verlockend, in diesem barocken Beispiel noch einen weiteren
Zug hervorzuheben und weiter davon zu sprechen, daß jene Vögel an den
Wänden des chinesischen Zimmers mittels einer verborgenen Mechanik bewegt
14 Wilhelm Hausenstein, Vom Genie des Barock. München 1962, S. 87.
15 Ebda. S. 90.
16 Vgl. ebda. S. 39 f.
17 Balet/Gerhard, a.a.O. S. 65. Wie es dort weiter heißt, habe noch Christoph Martin Wieland (in:
,Der goldene Spiegel oder Die Könige von Scheschian' von 1772) wegen „der Verwandtschaft der
deutschen Paschas mit ihren orientalischen Kollegen (. . .) ein vollkommen orientalisches Milieu" gewählt
(S. 66), eben um jenen den Spiegel vorzuhalten. Chisaburo Yamada hat indessen diese Verwandtschaftsthese
als Erklärung abgelehnt und behauptet, es sei „ein Unsinn, im europäischen Absolutismus
und in der zentralisierten chinesischen Regierungsform ein kulturelles Gemeinschaftsmoment zu
suchen und dieses damit als Grundlage der damaligen Chinamode zu betrachten", weil nämlich beide
„auf zwei ganz verschiedenen Grundlagen aufgebaut" seien (a.a.O. S. 12; vgl. auch S. 71). Selbst
wenn dies, aller Evidenz zum Trotz, richtig sein sollte, wird jene Erklärung dennoch nicht falsch,
denn die damalige China- und Orientmode hat von der angeblichen Ungleichheit der Grundlagen
nichts gewußt, an deren Gleichheit geglaubt oder aber (aber warum?) nur die Oberfläche und Außenseite
rezipiert.
18 Hausenstein, Vom Genie des Barock S. 36.
19 Solche lokale Eingrenzung des Barock mag Widerspruch hervorrufen, doch hat Hausenstein ihr mit
gewichtigen Argumenten große Glaubwürdigkeit verschafft (ebda. S. 88—90).
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