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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
57. Jahresband.1977
Seite: 267
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Das höfische Zeremoniell, in dem überdies ein theatralisches Moment sich geltend
macht, fand seine letzte Vollendung in einer chinesischen Höflichkeit,
einer mechanischen Bewegung und einer geometrischen Haltung.

In diesem letzten Beispiel, wie auch in jenem ersten aus Schloß Favorite selber,
zeigt sich, daß die Grundzüge des Barock (und zwar notwendigerweise, denn
die Rede war und ist von dessen Physiognomie) miteinander zusammenhängen
; sowohl das Exotische mit dem Mechanischen, als auch diese beiden mit
anderen (aus ähnlichem Anlaß an früherer Stelle schon dargestellten25): insbesondere
mit dem Geometrischen und dem Theatralischen.

Aufgrund der ihnen gemeinsam zugrundeliegenden Mathematik besteht eine
eindeutige Verwandtschaft zwischen der Mechanik und der Geometrie; dieser
aber, im wörtlichen Sinn als Erdvermessung, wenn nicht gar als Landnahme
verstanden, eignet ein durchaus expansiver Gestus, der auch und gerade ins
Exotische ausgreift. 26 Oder anders: die hochbedeutende Bühnentechnik27 stiftet
eine genauso eindeutige Affinität zwischen der Mechanik und dem Theater;
dieses aber, dem auch festliche Inszenierungen wie die erwähnte der Markgräfin
zuzurechnen wären, bediente sich mit Vorliebe des exotischen Kostüms.
— Und wo bleibt das letzte im Bunde, das Antithetische? Es liegt letztlich
darin, daß Orient und Okzident, Ost und West, das Dort und das Hier in dieser
Weise sich begegneten.

Unablässig hat Europa nach Asien gesucht; hat dabei Amerika gefunden, es
aber noch lange für Asien gehalten (und, wie die angeführten Zitate zeigten,
beider Einwohner noch lange als Indianer bezeichnet). Noch länger dauerte es,
bis ein Reisender in umgekehrter Richtung, der Schriftsteller Mark Twain, das
Schloß der Markgräfin entdeckte. Er ist, so schrieb er, „durch sehr viele Zimmer
gegangen, und sie alle wiesen in ihrer Dekoration ins Auge springende
Merkwürdigkeiten auf"; vielleicht hat er auch das chinesische Zimmer gesehen
; gewiß aber, und nicht schlecht, etwas von der auch darin sichtbaren
Physiognomie des Barock.

25 Vgl. Johannes Werner, Mark Twain auf den Spuren der Markgräfin. Ein Einblick ins Barock. In: Die
Ortenau 55 (1975), S. 222—227; ders., Mark Twains Bild von der Markgräfin. Ein Nachtrag. In: Die
Ortenau 56 (1976), S. 101—102; ders., Geometrie der Macht. Der barocke Plan von Rastatt. Ebda.
S. 83—94.

26 Daß dieses Ausgreifen an wirklich keiner Grenze haltmacht, erweist sich aufs einleuchtendste im folgenden
Zitat: „Wann nun die Holl mitten in der Erden, wie der H. Gregorius sagt, der Erden-Boden
aber in seiner Runde fünff tausend und vier hundert teutsche Meilen hat, so machet der grade Durchschnitt
des gantzen Erd-Bodens einen Drittel des Circuls aus, das ist 18. hundert teutsche Meilen,
folgte also, daß biß zu dem Centro oder Mittel-Puncten der Erden 9. hundert teutsche Meilen
hinunter seynd: und allda in disem Centro mitten in der Erden ist die Holl, das wüste finstere Land
des Tods, in welchem nicht nur grosse und weite Feur-Kämmern oder Gewölber, sondern auch andere
Berg und Thäler gefunden werden" (Sebastian Schmid, Vollständiger Catechismus etc. Zweyter Theil.
5. Aufl. Augsburg 1764, S. 449; im Besitz des Verfassers). Die große Kunst der barocken Kartographie
und Geographie, verstanden als eine angewandte Geometrie und Mathematik (vgl. Flemming, a.a.O.
S. 295—297), hat sich hier doch wohl etwas übernommen, aber gerade dadurch ihren Anspruch aufgedeckt
.

27 Vgl. Flemming, a.a.O. S. 362 und 382 f.; besonders auch Otto Rommel (Hrsg.), Die Maschinenkomödie
(= Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Barock Bd. 1) Darmstadt 1974.

28 Bummel durch Europa. In: M. T., Gesammelte Werke Bd. 3. Hrsg. von Klaus-Jürgen Popp. München
1966, S. 615—1104; hier S. 762 (s. o. Anm. 25).

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