http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1981/0044
europäischen Juristen der letzten Jahrhunderte des Ancien Regime. Sein Interesse
für die Geschichte ist in eine These eingebettet, die fortan in großen
Teilen Europas führend sein wird. Nach diesem Prinzip ist in erster Linie das
römische Recht des „Corpus Juris" anwendbar, es sei denn, es könne bewiesen
werden, daß die römisch-rechtliche Regel nicht rezepiert wurde, daß sie
nie den Vorrang über Landes- und Gewohnheitsrecht hatte, oder aber daß gesetztes
Herrenrecht sie ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Es galt also, in jedem
Fall gewohnheitsrechtliche oder deutschrechtliche Präjudizien festzustellen
und womöglich durch geschriebene Zeugnisse, d.h. durch Textstellen zu
belegen. Daß eine derartige Methode zum Durchsuchen der Archive, der Stadtrechte
oder der Weistümer geradezu herausforderte, jedenfalls wenn die Interessenlage
es gebot, ist ersichtlich. Schilter selbst hat in einem dreibändigen
Werk „Praxis juris romani in foro germanico", das in 8 Auflagen verbreitet
war, ein Beispiel vorgelegt. Die gesamte Rechtsmaterie — also alle sanktionierten
Regeln des täglichen Lebens in Stadt und Land — ist in diesem Werk
systematisch nach der römischen Ordnung aufgeführt, und in jedem Falle
wird auf die tatsächlich im Lande üblichen Regeln verwiesen unter Hinweis
auf älteres Schrifttum, also auf historische Zeugnisse4.
Schilter ist deshalb einer der ersten Geschichtsforscher — im modernen Sinne
des Wortes — des Elsass, ja Europas. Ihm verdankt man die Publizierung der
berühmten Königshofener Chronik, die handschriftliche Ausarbeitung der
Straßburger Stadtrechte mit Kommentar, aber auch den Druck des salischen
Rechts, der alemannischen und fränkischen Stammesrechte und eines Wörterbuchs
der alten fränkischen und alemannischen Sprache, in welchem die ältesten
Zeugnisse der Rechtssprache aus gedruckten und ungedruckten Quellen,
„Weistümern", Gesetzessammlungen in alphabetischer Reihenfolge zusammengestellt
wurden — alles heute noch unentbehrliche Hilfsmittel der Geschichtsforscher
—, die Schilter sowohl den lobenden Titel „Deutscher
Papinian" als auch den eines „Wortkönigs" einbrachten. Es sei an einem
Exempel des Boden- und Landwirtschaftsrechts erläutert, wie interessant diese
Art der Rechtsfindung für uns heute noch sein kann. Wenn Schilter genau
die Rechtslage und die Modalitäten der Flursteinsetzung beschreibt, so weist
er außer dem klassischen Römischen Recht u. a. auf folgende Quellen hin: den
Sachsenspiegel, das Württembergische Landrecht, die Gothaer Landesordnung
und die Satzung der Straßburger „Allmendherren" sowie einige Monographien
in deutscher Sprache — wahrlich eine Fundgrube für den rechtsgeschichtlich
interessierten Historiker.
Ist Schilter der berühmteste unter den Straßburger Juristen, die Geschichte in
die Jurisprudenz einbezogen, so ist er doch nicht der einzige. Die meisten sei-
4 Eine erschöpfende Monographie über Schilter steht noch aus. Gute Übersichten bei F. WIEACKER, o.e.;
siehe auch ALLGEMEINE DEUTSCHE BIOGRAPHIE, Bd. 31, S. 266; Ch. GIRAUD, Eloge ä Schilter
(mit Liste der Werke) 1845.
42
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1981/0044