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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
61. Jahresband.1981
Seite: 225
(PDF, 65 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1981/0227
Die Auflösung der Illenau

Die Auflösung der Illenau war weder infolge zu schwacher Belegung erforderlich
, noch aus Gründen der Zweckmäßigkeit geboten. Sie wurde vollzogen in
Ausführung von Hitlers Euthanasie-Erlaß vom 1. 9. 1939. An diesem Tag, an
dem der 2. Weltkrieg ausbrach, unterschrieb Hitler ein Schreiben an den
Reichsleiter Philipp Bouhler und Dr. med. Karl Brandt folgenden Inhalts:
„Reichsleiter Philipp Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung
beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern,
daß nach menschlichem Ermessen unheilbare Kranke bei kritischer Prüfung
ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.48" Der Erlaß
steht auf Hitlers privatem Briefpapier und enthält demnach keine Angabe, ob
er ihn in seiner Eigenschaft als Reichskanzler oder als Führer der Partei erlassen
hat. Sein Inhalt mit dem Hinweis auf Verantwortung und menschliches
Mitgefühl sowie den verschiedenen Einschränkungen ist ein Musterstück an
Heuchelei. Ziel war die Vernichtung von „lebensunwertem Leben", wozu
Hitler glaubte, das Recht und die Pflicht zu haben um des Bestandes des deutschen
Volkes willen. Betroffen davon waren innerhalb des mittelbadischen
Raumes Geisteskranke der Illenau, alte gebrechliche Männer und Frauen der
Kreispflegeanstalt Hub bei Ottersweier und Fußbach bei Gengenbach sowie
Epileptiker der Korker Anstalten. Eine gesetzliche Grundlage für den Erlaß
gab es nicht. Die Maßnahmen wurden geplant und durchgeführt von einigen
Juristen und einer kleinen Gruppe von Ärzten in Zusammenarbeit mit dem
Reichsministerium des Innern. Die Tötung jener Menschen ist nach StGB
§ 112 eindeutig Mord, der weder menschlich noch in juristischer Hinsicht zu
rechtfertigen ist. Von einer Aufhebung der Irrenanstalten ist amtlich nirgends
die Rede.

Die Maßnahmen,49 die zur Durchführung getroffen wurden, liefen unter dem
aktenmäßigen Betreff „Planwirtschaftliche Maßnahmen". Zunächst schuf
man eine Dachorganisation, die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten
" mit Sitz in Berlin. Sie wurde geleitet von einem Reichsbeauftragten
, der der Führerkanzlei unmittelbar unterstellt war. Dieser Reichsarbeitsgemeinschaft
unterstand die „Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege", die
mit eigenem Personal in eigens dafür bestimmten Häusern die Tötungen

47 Die folgenden Angaben wurden vor allem entnommen dem Bericht des Untersuchungsrichters Dr. Rappenecker
von der Staatsanwaltschaft Freiburg/Br. Akten 1 KS 5/48 und den Eintragungen in der „Chronik der
Anstalt Illenau". Sie wurden ergänzt durch Mitteilungen verschiedener Pfleger und Pflegerinnen aus jener
Zeit, denen ich für ihre Auskünfte verbindlichst danke.

Lit.: R. Henkys, Die nationalsozialistischen Gewaitverbrechen. Stuttgart, Berlin 1964. — Fr. K. Ksul, Die
Psychiatrie im Strudel der „Euthanasie". Frankfurt/Main 1979. — M. Broszat, Der Staat Hitlers, dtv-
Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts Bd. 9. München 1969. — Die Ermordeten waren schuldig. Amtliche
Dokumente der Direction de la Sante Publique der franz. Militärregierung. Baden-Baden o.J.; übersetzt
von Viktoria von Bülow.

48 Der Text wurde verschiedentlich veröffentlicht, u. a. in „Medizin ohne Menschlichkeit". Dokumente des
Nürnberger Ärzteprozesses, hrsg. und kommentiert von A. Mitscherlich und F. Mielke. Fischer-Bücherei
Bd. 332. Frankfurt/Main 1960. S. 184

49 Vgl. Broszat S. 398—400, Henkys, S. 61—65

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