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durchführte. Eine weitere Organisation, die „Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft
mbH", holte die ausgesuchten Kranken der Anstalten ab und
brachte sie in eigenen Wagen und mit eigenem Personal zu den für die Tötung
vorgesehenen Häusern. Für Baden war dies zunächst Schloß Grafeneck,50 ein
Krüppelheim der Evangelischen Samariterstiftung in Gomadingen auf der
Schwäbischen Alb (unweit Münsingen). Als hier im November 1940 infolge
der Empörung der Bevölkerung die Vergasungen eingestellt wurden, gingen
die Transporte nach Hadamar in Hessen. Alle Personen, die irgend etwas mit
den Vorgängen zu tun hatten, waren unter Androhung schwerster Strafen zu
strengstem Stillschweigen verpflichtet. Dadurch war es unmöglich, daß jemand
draußen etwas Zuverlässiges von dem erfuhr, was da vor sich ging.
Die Aktion begann damit, daß die Heil- und Pflegeanstalten sowie die Kreis-
pflegeanstalten, in Baden auch die Anstalten Herten und Kork, durch
Schreiben51 des Reichsministeriums des Innern vom 9. 10. 39 aufgefordert
wurden, auf zugesandten Meldebögen die Namen jener Insassen — für jeden
ein eigener Bogen — zu melden, die nicht arbeiteten und an bestimmten, genau
aufgezählten Geisteskrankheiten litten; jene die sich seit fünf Jahren ununterbrochen
in der Anstalt befanden; kriminelle Geisteskranke; schließlich
jene Geistesgestörten, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen oder
fremdrassig waren. Dazu gehörten auch die Juden, denen durch die Nürnberger
Gesetze 1934 die deutsche Staatsangehörigkeit abgesprochen worden war.
Da die Fragen der Meldebögen unverfänglich waren, ahnte z.B. in der Illenau
niemand, daß die geforderten Angaben später die Grundlage für die Tötungen
abgeben sollten.
Die ausgefüllten Meldebogen mußten bis zum 1. 12. 39 nach Berlin zurückgeschickt
werden. Danach wurden sie 3 unabhängig voneinander arbeitenden
Ärzten zugeleitet. Diese setzten hinter das Ja ein rotes Kreuz, wenn sie für die
Tötung des Betreffenden waren, dagegen ein blaues Kreuz hinter das Nein,
wenn sie die Tötung ablehnten. Teilnehmer des 1. Weltkrieges sollten von der
Liquidierung ausgenommen bleiben. Einer der Gutachter war Arthur
Schreck,52 der Direktor der neugegründeten Anstalt Rastatt, der von 1913 bis
1934 an der Illenau tätig war. Schreck bekannte sich aus grundsätzlichen Erwägungen
zur Euthanasie. Ein Obergutachter traf die endgültige Entscheidung
.
Bereits am 28. bzw. am 29. 11. hatte das Badische Innenministerium den ihm
unterstellten Anstalten mitgeteilt, daß eine Verlegung von Kranken durch
Sammeltransporte bevorstehe. Weder war der Grund für diese Maßnahme
noch der Zielort angegeben. So glaubte man in der Illenau, daß der Grund
50 Grafeneck war ursprünglich ein Jagdschloß der Herzöge von Württemberg, das Herzog Karl Eugen für seine
Frau Franziska von Hohenheim hatte umbauen lassen. Seit 1929 gehörte es der Evang. Samariterstiftung.
Am 14. 10. 1939 wurde es vom Landratsamt Münsingen beschlagnahmt.
51 Rappenecker S. 27
52 Rappenecker S. 34—39
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