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Die weiteren Schicksale der Wenau
Lange blieben die Räume der Illenau nicht leer. Ab 1. 10. 1940 überließ das
Land Baden71 die Staats- und stiftungseigenen Gebäude und Grundstücke dem
Reich, das hier eine Schule für Volksdeutsche (späterer Name: Reichsschule
für Volksdeutsche) errichtete. Das Reich brauchte keine Pacht oder Pachtzins
bezahlen, übernahm aber dafür die Unterhaltspflicht für die Gebäude. Die
Schule erhielt die Einrichtungsgegenstände, den Viehbestand, die Kraftfahrzeuge
, die Bestände an Wäsche usw. zur Verwendung. In die Schule sollten
420 Südtiroler Mädchen72 aufgenommen werden, deren Eltern 1940 für
Deutschland optiert hatten. Die ersten trafen anfangs Januar 1941 ein. Ihre
Zahl soll 400—500 betragen haben. Sie wurden nach den damaligen deutschen
Schulplänen unterrichtet. Da sie katholisch waren, hielt der Pfarrer von Ober-
achern ihnen in der Anstaltskirche auch Gottesdienst, der jedoch am 5. 10.
1941 auf Anordnung der Anstaltsleitung eingestellt wurde. Im Spätjahr 1944
wurde die Schule wieder geschlossen.
Von 1942 bis 1943 waren auch etwa 40 Polenmädchen in der Illenau untergebracht
. Sie waren aus polnischen Waisenhäusern ausgesucht oder gewaltsam
ihren Eltern genommen worden und sollten, da sie die Merkmale der nordischen
Rasse aufwiesen (blond, blauäugig), eingedeutscht werden. Sie wurden
nach Aussagen gut behandelt und gut verpflegt, durften aber nicht unter sich
polnisch sprechen. Einige von ihnen kamen bei deutschen Familien in Dörfern
der Umgebung von Achern unter. Nach dem Krieg kehrten die meisten wieder
nach Polen zurück.
Nach dem Einmarsch der Franzosen 1945 wies die französische Besatzungsmacht
den nach Deutschland deportierten Polen die Illenau als Unterkunft zu
bis zu ihrer Rückkehr in ihre Heimat. Heute dient sie einer französischen Militäreinheit
als Kaserne.
Die Heil- und Pflegeanstalt Illenau besteht nicht mehr. Ihre zweckentfremdeten
Gebäude sowie der in der Nähe liegende ehemalige Friedhof erinnern immer
noch an eine bedeutende Einrichtung zum Wohl der Geisteskranken. Ihrer
Verpflichtung, im Illenauer Geist den Kranken zu dienen, blieben Direktoren
, Ärzte, Pflege- und Dienstpersonal bis zum Ende treu. Ob die Gebäude jemals
wieder ihrer ursprünglichen oder einer ähnlichen Aufgabe zugeführt werden
, ist ungewiß.74
71 GLA 237/37 803 Vereinbarung v. 1. 12. 41
72 H. Scholz Nationalsozialistische Ausleseschulen, S. 292
73 Die Angaben wurden dem Verfasser von einer Frau gemacht, die zu den Polenkindern gehört hatte.
74 vgl. Reg. Med. Dir. Kruse, Überlegungen nach einer Besichtigung der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Illenau
bei Achern. Psychiatrisches Landeskrankenhaus Emmendingen. 1971
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