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Der zweite Schritt vollzog sich unter einem doppelten Aspekt in den sechs auf
die Julirevolution von 1830 folgenden Jahren. Zum einen wurde der Bereich
der Unterstützungsbedürftigen aufgegliedert und näher bestimmt7. Dabei
wurde ein besonderer Personenkreis, die Juden, ausgegliedert und an eine
nichtstaatliche Unterstützungsstelle überwiesen8. Zum anderen wurden Leistungsumfang
und Kostenträger genauer bestimmt.
Das dritte Entwicklungsstadium war in seinem zeitlichen Verlauf gegenüber
den vorhergehenden wesentlich verkürzt, dafür aber nicht minder grundlegend
durch den behandelten Gegenstand und zukunftsweisend durch den
Schritt in den zwischenstaatlichen Bereich. Inhaltlich umschloß die mit Vorverhandlungen
nur ein Vierteljahr dauernde Entwicklungsspanne ein einziges
Übereinkommen, den „Eisenacher Vertrag" vom 11. 7. 1853, in welchem die
Verpflegung erkrankter Staatsangehöriger des anderen Landes sowie deren
Beerdigung geregelt wurde9. Rund fünfzehn Jahre nach dem Bau der ersten
Eisenbahn und der damit verbundenen Ausweitung des Personenverkehrs, am
Anfang der Industrialisierung und der damit verbundenen Wanderungsbewegung
von Arbeitssuchenden mit der Gefahr ihrer plötzlichen Verarmung im
Ausland schien der Vertrag aus konkreten Anlaß entstanden zu sein. Erst 1871
wurden die in diesem Vertrag festgelegten Grundsätze und Ideen in dem diesmal
für das ganze Reichsgebiet gültigen Unterstützungswohnsitzgesetz neu
überarbeitet und formuliert10.
Die vierte Entwicklungsphase begann dann mit dem Landesgesetz über die öffentliche
Armenpflege", welches durch die Einführung des Unterstützungswohnsitzgesetzes
ergänzt bzw. ersetzt wurde. Danach regelte man Ersatzleistungsprobleme
, welche durch die Unterstützung von Ortsfremden entstanden
, zweifelsfrei mit Hilfe von Verordnungen, die den Tarif der von den Armenverbänden
gegenseitig zu erstattenden Armenpflegekosten und das Verfahren
zur Erwirkung des Ersatzes für geleistete Unterstützung sowie die
Übernahme Bedürftiger betrafen. Das gesamte Staatsgebiet war gleichzeitig
damit zur Verwaltung des Armenwesens in „Landarmenverbände" (auf Kreisebene
) und „Ortsarmenverbände" (auf Gemeindeebene) eingestellt worden.
Die letzte und fünfte Phase begann mit dem Zusammenbruch 1918 und den
auf Grund des Weltkrieges entstandenen komplexen Unterstützungsproblemen
großer Bevölkerungsgruppen. Die regelmäßige Hilfe für die in nahezu jeder
Gemeinde zahlreich vorhandenen Kriegsbeschädigten hätte die Finanzkraft
der Kommunen überfordert, so daß die Regierung am 8. 2. 1919 eine
„Verordnung über die soziale Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge
" erließ. Damit hob man die regelmäßige Unterstützung dieser Grup-
7 Bürgerrechtsgesetz vom 31. 12. 1831, RegBl. Nr. VIII vom 17. 2. 1832 und Gemeindeordnung 1831, § 82
8 RegBl., Hauptverordnung vom 15. 5. 1833, S. 131
9 RegBl. Nr. XXIV vom 16. 5. 1854, S. 229
10 In Baden erhielt das Gesetz erst mit dem I. 1. 1873 Geltung
11 RegBl. Nr. XXII vom 5. 5. 1870
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