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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
61. Jahresband.1981
Seite: 324
(PDF, 65 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1981/0326
chen. Der Wiederbesiedlung des entleerten
Landes folgte ein starker Zuwachs der Bevölkerung
, deren Zahl z. B. die Württembergs
bald übertraf.

Anders als die kleine katholische Universität in
Molsheim spielte die protestantische Straßburger
Universität im 18. Jahrhundert eine weit
über das Elsaß hinausstrahlende Rolle. In ihrem
Umkreis entstanden private wissenschaftliche
Gesellschaften, darunter auch deutsche.
Die neu aufgebaute Verwaltung respektierte
weitgehend Rechte und Sprache. Es gab keine
planmäßige Französisierung wie später unter
der Revolution. Von den Intendanten ging ein
kultureller Einfluß aus auf die Oberschicht, die
(wie in ganz Europa) französisch sprach. Die
Revolution von 1789 hat dem Elsaß die Selbstverwaltung
der Gemeinden gebracht, jedoch
mit der Schreckensherrschaft eine „jakobinische
" Zentralgewalt geschaffen, die bis 1939
wirksam blieb. Guillotine und Kirchenschließungen
auf der einen, materielle Bereicherung
des Bürgertums auf der anderen Seite: die Zustimmung
zur Revolution war zunächst nicht
einhellig. Erst die Kriegsgefahren (das Elsaß
wurde Front-, Aufmarsch- und Rekrutierungsgebiet
für die Rheinarmee) und die unter Napoleon
eingeführte Verwaltung erfüllten die
Elsässer mit einem neuen französischen Staatsbewußtsein
. Dazu haben die Organisation der
Schule und die Arbeit des Präfekten Lezay-
Marnesia wesentlich beigetragen.

Als das Land 1815 besetzt wurde und Görres
die erste Forderung auf Rückgabe des Elsaß erhob
, leistete das Land heftigen Widerstand.
Das 2. Kaiserreich erlebte die von Mülhausen
ausgehende Industrialisierung, den Bau von
Bahn- und Kanalverbindungen und eine Verbesserung
der Schulbildung, während die
Landwirtschaft vernachlässigt wurde.

Trotz elsässischer Sympathien für die badische
48er-Bewegung fürchtete man die deutsche
Einheit sowie den preußischen und deutschen
Nationalismus. Der Abtretung des Elsaß an
das Reich nach dem Krieg von 1870/71 folgten
Option (21% im Oberelsaß, 15% im Unterelsaß
) und Abwanderung von 50.000 Elsässern
oder 5 % der Bevölkerung, die vorzugsweise
der Oberschicht angehörten. Bis 1914 vervielfachte
sich die Zahl der offiziellen oder inoffiziellen
Auswanderer — das führte mit Landflucht
und deutschem Zuzug zu einer starken
Bevölkerungsbewegung. Der Industrie öffnete
sich der deutsche Markt, Bautätigkeit und Sozialgesetzgebung
bauten alte Spannungen ab,
Besatzung und Verwaltung dagegen, nicht zuletzt
der Kulturkampf belasteten das Verhältnis
zwischen Reich und Reichsland, das —
trotz Landtag — vergeblich die Aufnahme als
Bundesland erhoffte.

Jedoch auch nach 1919 blieb der Integrierung
des Elsaß durch Frankreich der erwartete Erfolg
versagt — jenseits der Vogesen hatte man
keine realistischen Vorstellungen mehr vom Elsaß
. Die wirtschaftlich unbefriedigende Entwicklung
und Maßnahmen der zentralistischen
Verwaltung forderten neuen Widerstand heraus
. Er manifestierte sich als Separatismus
(von Kommunisten gefördert), als Regionalismus
und als Autonomismus (teilweise mit
deutscher Unterstützung). Bei Ausbruch des 2.
Weltkriegs war das Elsaß noch nicht zur Ruhe
gekommen.

Zu Beginn des Krieges war fast ein Drittel der
Bevölkerung in die Dordogne evakuiert worden
. 1940 wurde das Elsaß von den deutschen
Truppen besetzt und erhielt deutsche Verwaltung
. Bei drohender Konfiskation ihres Eigentums
wurden bis 1943 rund 300.000 Elsässer
zur Rückkehr veranlaßt, indessen wurden
10.000 Juden und zahlreiche Franzosen deportiert
. Die übrigen Maßnahmen, Anschluß an
den Gau Baden, Einführung deutscher Gesetze
, Sprachenkampf und Austausch von
5.000 Lehrern, Einführung von Arbeitsdienst
und Wehrpflicht, Aufbau von Parteiorganisationen
der NSDAP entsprachen einer de facto-
Annektion. Die Gegenbewegung setzte nach
dem Aufruf General de Gaulles vom 18. Juni
1940 mit dem Aufbau des elsässischen Widerstands
zunächst außerhalb des Landes ein, innerhalb
erst ab 1944.

Der Verfasser konstatiert, daß die NS-Politik
in vier Jahren mehr zur Zerstörung des
Deutschtums im Elsaß getan hat als die 3. Republik
zwischen 1919 und 1939.
Die Nachkriegszeit wird anhand der politischen
und wirtschaftlichen Entwicklungslinien
, der Schulausbildung (Rolle des Deutschunterrichts
), der Entwicklung des Regionalismus
, der Presse und der politischen Parteien
(anhand der Wahlergebnisse) dargestellt. Für
die Zukunft sieht der Verfasser da1- Llsaß an
der Nahtstelle zwischen französischer und
deutscher Kultur, zwischen Katholizismus und
Protestantismus als Quelle von Toleranz und
gegenseitigem Verständnis.
Eine Zeittafel gibt eine (knappe) Datenübersicht
, eine Bibliographie die grundlegende Literatur
. Wünschenswert wäre ein Stichwortverzeichnis
und die Korrektur mancher
deutschsprachiger Zitate; inhaltlich verdienten
wohl die jüngste wirtschaftliche und soziale
Entwicklung, die Verflechtung mit dem Nachbarland
, auch die Veränderungen im Bewußtsein
und der Rolle dieser Grenzregion in bezug
auf Frankreich und die zentrale europäische
Lage behandelt zu werden.
Diese erste umfassende Darstellung der elsässischen
Geschichte nach dem zweiten Weltkrieg
erscheint dem deutschen Leser umso interes-

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