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gliedern zu teilen. Bezeichnend für ihn war es, daß er neben seinen geistlichen
Aufgaben auch um das leibliche Wohl seiner Leute besorgt war. Außer seinen
tröstenden Predigten und dem seelsorgerlichen Beistand bei den Entkräfteten
und an der Pest Sterbenden, wollte er auch Mittel und Wege finden, die es erlauben
sollten, das nackte Überleben der ihm anvertrauten Menschen zu gewährleisten
.
Auf hochgestellten Beobachtungsposten ließ er Männer postieren, die jedes
Herannahen von regulären Truppen, aber auch von plündernden Marodeuren
, schleunigst im Dorf anzeigten. Darauflief der schwarzgewandete Gottesmann
, was ihn die Beine trugen, zum Gotteshaus und läutete die Sturmglocke.
In wenigen Minuten begann die wilde Flucht: Jedermann raffte seine wenigen
Habseligkeiten, seine ärmlichen Wertsachen zusammen und flüchtete Hals
über Kopf mit Greisen und Kindern, Tieren und Bettzeug an „sichere" Orte.
Dies waren damals wild bewachsene und schwer zugängliche Inseln, die sich
zwischen den vielen Rheinarmen befanden. Diese Refugien nannte man
„Wörthe", häufiger „Kopf" oder „Köpfel", die übrigens heute noch als Königskopf
, Rohrkopf, Hundkopf mancher Bannstelle ihren Namen geben.
Durch die herrschende Feuchtigkeit war die Vegetation dieser Inseln schier urwaldähnlich
und bot zumindest einen relativen Blickschutz. Bei der Ankunft
auf den Köpfein errichtete jede Familie mit den zur Verfügung stehenden
dürftigen Mitteln eine ärmliche Hütte oder reparierte die bereits bestehende.
Diese Unterschlüpfe waren natürlich baufällig und zugig und besonders zur
Winterszeit für ein einigermaßen menschenwürdiges Wohnen ungeeignet. So
wurde das Existieren bald zum Vegetieren.
Gugger selbst konnte bei jeder Flucht nur wenig Hausrat retten. Ihm ging es
vor allem um die „heiligen Gefäße", also die Abendmahls- und Taufgeräte
sowie die Kirchenbücher, die er unzählige Male für die Nachwelt in Sicherheit
zu bringen wußte. Unermüdlich fuhr er zwischen den Wörthen in einem kleinen
Kahn hin und her, tröstete die Verzweifelten, machte Mut zum Durchhalten
, gab den Überlebenden praktische Anleitungen und den Sterbenden geistlichen
Zuspruch, denn Todgeweihte unter seinen Gemeindegliedern gab es viele
. Allein in den beiden Schreckensjahren 1628 (Pocken) und 1636 (Pest) stand
er den Beerdigungen von 140 Menschen vor, darunter etwa ein Drittel Kinder.
Das kam bei einer knapp 300 Familien umfassenden Gemeinde einer Katastrophe
gleich. Bezeichnend dürfte es auch sein, daß in Guggers Pfarrei Auenheim
bei den Hochzeiten des Jahres 1633 von den 19 Bräuten zehn Witwen vor dem
Altar standen.
Oft ging es dem durch Entbehrungen selbst geschwächten Pfarrer über die
Kräfte, einem Amt vorzustehen, das durch den Zerfall aller Ordnungen und
Sitten für uns unvorstellbar schwierig geworden war. Und dennoch ließ er
nicht ab, die ihm anvertraute Herde zusammenzuhalten, ja selbst ein Mindestmaß
an kirchlichem Leben zu bewahren. Neben den Taufen und Beerdigun-
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