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angesichts eines am 11. in Berlin ausgerufenen Generalstreikes dazu nicht
mehr in der Lage. Am 12. 8. trat Cuno zurück, am 13. war bereits eine neue
Regierung unter Stresemann mit 4 szd. Ministern gebildet: „Die Sozialdemokratie
hat einen schweren Schritt getan durch Eintritt in das Kabinett. Von
den Abgeordneten der Opposition ist eine Erklärung abgegeben worden, die
den Besorgnissen Ausdruck verleiht, aber vor Spaltung warnt. Der Blättle-
schreiber schließt sich ihr an" (19. 8.).
Die Preise stiegen unaufhaltsam. Der Liter Milch hatte Ende Oktober 1921
noch 3,30 Mark gekostet, am 11. 11. 22 war er auf 60,— Mark festgesetzt
worden, am 21. 6. 23 betrug er 1 700,— und am 1. 7. mußten die Offenburger
schon 2 800,— dafür bezahlen. Die wirtschaftliche Katastrophe führte überall
zu Unruhen: „Wachsende Teuerung und Arbeitslosigkeit rufen Aufstände
und Plünderungen in vielen Städten hervor. Das Volk zieht aufs Land zu den
Großagrariern, um dort Nahrungsmittel sich gewaltsam zu verschaffen. Die
bewaffnete Macht haut und schießt auf die Arbeiter, es gibt Verwundete und
tote Opfer" (19. 8.). Diese Unruhen griffen auch auf Baden über: „Auch im
badischen Lande floß schon Blut; in dieser Woche in Lörrach, wo die Schupo
auf das Arbeitsvolk schießen mußte, das gegen Bezirksamt und Gefängnis gezogen
war. In Schopfheim, in Lahr gingen große Demonstrationen ohne Unheil
ab. Die Arbeiterschaft setzte ihren Willen durch. Heute ist Generalstreik
in Freiburg, woran auch die Eisenbahner sich beteiligen" (19. 9.).16 Bei diesen
Verhältnissen kam auch der Blättleschreiber ins Gedränge, wie auch die Offenburger
Tageszeitungen. In der 1. Septemberwoche betrug ihr Bezugspreis
600 000,— Mark. Der Offenburger Leserkreis des „Alten" bröckelte ab; unter
ihm seien die reichsten Leute der Stadt: „Keine 2 Eier für eine Nummer des
.Alten'! Besser kann der Tiefstand nicht gekennzeichnet werden, zu welchem
wir herabgesunken sind durch die verbrecherische Politik des Reichskabinetts
der .Fachmänner' zum Raubzug der Schwerkapitals auf die Taschen des fleißigen
Volkes. Das hat der .Alte' vorausgesagt, er hat die Ruhrpolitik und die
Taktik im Offenburger Besatzungsgebiet als eine verfehlte, zur Niederlage
führende Taktik bezeichnet" (1. 9.). Das habe dem „Alten" den Haß der
Cuno-Stipendiaten zugezogen, die ihm zu schaden suchten, weil sie die Aufrichtigkeit
und Wahrheit haßten, die man seit Kriegsausbruch nicht duldete.
Nun erschien auch der „Alte" nicht mehr regelmäßig; die Preise stiegen ins
Unermeßliche. Für die Milch wurde ein Stallpreis von 13,4 Millionen Mark
zugebilligt (8. 10.)! Die Nr. des „Alten" kostet zu dieser Zeit freibleibend 5
Millionen bei sofortiger Bezahlung; drei Tage später kostete die Nummer bereits
15 Milliarden!!! Am 3. 10. demissionierte das Kabinett Stresemann:
„Der Sturz der neuen Koalitionsregierung war das Werk des allmächtigen Kapitalgottes
Stinnes, der zu derselben Partei gehört" (8. 10.). Es erschien in
„rechtsverbesserter Auflage", die Sozialdemokraten schieden aus. Was der
„Alte" am 28. 1. vorausgesagt hatte: „Es wird auch der Tag kommen, da die
französischen Erzkapitalisten und die deutschen Kohlengrubenkönige sich zur
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