http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1983/0257
eher Feiertag erklärt. Nach 10 Jahren mußte Geck eine traurige Bilanz ziehen:
„Heute ist dies in den wenigsten deutschen Ländern noch der Fall; auch im
ehemaligen Musterlande Baden ist das Obligatorium abgeschafft worden,
nachdem das arbeitende Volk seine Schuldigkeit getan hatte. Eine sich selbst
zerfleischende Arbeiterschaft ohne kampflustige Energie ist unfähig, sich das
Recht der neuen Zeit zu sichern" (27. 4. 29). Resigniert stellte er am 4. 5. 29
fest: „Die Feier des 1. Mai wäre hier aus der Öffentlichkeit ganz verschwunden
, wenn nicht auf dem Marktplatz eine kleine, von der kommunistischen
Partei veranstaltete Demonstration mit einer Ansprache des Stadtverordneten
R. Bätz an den Weltfeiertag erinnert hätte". In Berlin, wo der szd. Polizeipräsident
für diesen Tag das Demonstrationsverbot nicht aufgehoben hatte, wurden
31 Menschen bei Zusammenstößen erschossen, über hundert verwundet
und mehr als tausend verhaftet.28 Der Kommentar des „Alten" v. 11. 5.
macht deutlich, daß es ihm schwerfiel, sich mit dieser Republik zu identifizieren
, deren Kanzler (H. Müller) und Innenminister (Severing) Parteigenossen
waren: „Man glaubt, in der Zeit vor 40 Jahren unter der preußischen Diktatur
zu leben, nicht im Freistaat einer Republik, unter der Fuchtel eines Tessen-
dorf, nicht in der Obhut eines sozialdemokratischen Polizeipräsidenten."
In dieser Zeit korrespondierte er offenbar häufiger mit Clara Zetkin, die ihn
in einem Brief vom 15. 3. 28 aus Moskau mit „Lieber, teurer Freund und Genosse
!" anredet. 29 15 Jahre zuvor hatte August Bebel Marie Geck in bezug
auf ihren Mann vor Clara gewarnt: „Und nun spielt er gar den Hyperradikalen
, der seiner ganzen inneren Natur zuwider ist und läßt sich unter vollständigem
Verzicht auf den eigenen Intellekt von der Zetkin ge- und mißbrauchen,
deren Charakter er offenbar gar nicht kennt. Seine Isolierung wird dadurch
immer größer".30 Aber solche Querschüsse konnten das herzliche Verhältnis
zwischen dem Hause Geck und Clara Z. nicht trüben; außerdem ließ sich
Geck in seinen Freundschaften auch nicht von politischen Erwägungen leiten.
In dem 1929 geführten Briefwechsel ging es anscheinend um einen Kuraufenthalt
von Clara im Schwarzwald, für den Geck Sulzbach im Renchtal vorschlug
. Clara antwortete ihm am 18. 7. 29, daß noch nicht entschieden sei,
wohin sie von den Ärzten verfrachtet würde, aber der Ort sei ihr und den Ihren
sympathisch: „Der Natur und der süddeutschen Eigenart wegen, last not least
wegen der Aussicht, Dich wiederzusehen, mit Dir zurück in die Vergangenheit
und vorwärts in die Zukunft zu wandern". Aus Sulzbach wurde nichts, da
Geck nicht rechtzeitig geantwortet hatte, ob ein Unterkommen möglich war,
doch drehte sich ihr Briefwechsel offenbar nicht nur um private Dinge, wie
aus einem Brief v. 31. 7. 29 an Geck hervorgeht: „Ich bin für mich sehr pessimistisch
, dafür um so optimistischer für die Sowjetunion und die proletarische
Weltrevolution. Das geht vorwärts, sogar trotz der eigenen Fehler und
Dummheiten der Menschen, denn auch die Menschen gehen vorwärts".
Solchen Fortschritt konnte Geck innerhalb seiner Partei nicht entdecken.
Koalitionen mit bürgerlichen Parteien waren ihm stets an sich schon suspekt,
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