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Dominanz des Zentrums
Der Einfluß der Katholischen Kirche auf die Wahlentscheidung war beträchtlich
. Das Zentrum war eine rein katholische Partei, die mit Hilfe ihrer Vorfeldorganisationen
weite Bereiche des politischen Lebens beherrschte. Sie war
vielleicht die einzige wirkliche Volkspartei in dieser Zeit. Gerade in Zell, wo
durch die Keramischen Fabriken zahlreiche Arbeiterfamilien auch in Kontakt
mit sozialistischen Ideen kamen, spielten die Vorfeldorganisationen eine zentrale
Rolle. Der katholische Arbeiterverein (Vorsitzender war bis 1932 Gemeinderat
Josef Schätzle, danach Peter Lehmann)19 und die christlichen Gewerkschaften
(Vorsitzender bis 1929 Franz Schöner, danach Josef Schätzle)20
waren innerhalb der Arbeiterschaft gut verankert und stellten für die der SPD
nahestehenden ,,Freie Gewerkschaften" eine ernst zu nehmende Konkurrenz
dar. Gleichzeitig verpflichteten sie das Zentrum zu sozial ausgewogenen Stellungnahmen
nicht nur zu allgemeinpolitischen, sondern auch zu lokalen Fragen
. Gemeinsam mit den „Freien Gewerkschaften" propagierten sie den
Zusammenschluß der Werktätigen „zwecks Erreichung auskömmlicher menschenwürdiger
Lebensbedingungen"2', wie es bei der Ankündigung zu einem
Werbefilm heißt. In einer Versammlung des Berufsverbandes deutscher Keramikarbeiter
, einer Unterorganisation des christlichen Fabrik- und Transportarbeiterverbandes
am 27. 11. 29 sprachen sich die Teilnehmer in einer Stellungnahme
zum sog. „Ruhreisenkonflikt" gegen die Generalsaussperrung der
Arbeiter durch die Schwerindustrie aus, die „einen brutalen Machtstandpunkt
verficht". Sie sehen einen „Generalangriff auf die Arbeiterschaft und ihre
Rechte." Gleichzeitig erläutern sie ihr Wirtschaftsverhältnis: „Die Gewerkschaft
versteht unter Wirtschaft die Erzeugung und Verteilung menschlicher
Güter in der der einzelne Mensch als Schöpfung Gottes mitzuwirken hat und
sich dadurch Ansprüche darauf erwirbt."22
Dieses Credo der christlichen Gewerkschaften zwang die Zentrumspartei als
ganze, zumal die christlichen Gewerkschafter die Hauptaktivisten der Partei
stellten, oft zu scharfer Gegnerschaft zur Industrie, wodurch diese wiederum
ihren politischen Einfluß in den weiter rechts stehenden bürgerlichen Parteien
geltend machte.
Daneben spielten auch noch weitere katholische Vereine eine Rolle im Zusammengehörigkeitsgefühl
der Katholiken: der Gesellenverein (Kolping) unter
seinem Präses Pater Berchmanns, der Christliche Mütterverein, die Marianische
Jungfrauenkongregation und, im"sportlichen Bereich, die DJK sorgten
für eine ständige Kommunikation unter den engagierten Katholiken. Die
eigentlichen politischen Speerspitzen der Katholischen Kirche neben dem Zentrum
war die Katholische Aktion, die von Stadtpfarrer Dr. Peter persönlich
geleitet wurde und der Katholische Volksverein, in dessen Veranstaltungen der
pensionierte Justizrat von Amelunxen engagiert gegen Kommunisten und
Nationalsozialisten auftrat. Überhaupt scheint von Amelunxen damals eine
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