http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1987/0429
wurde die SPD, „Kozis" die KPD beschimpft:34 Immerhin bleibt festzustellen
, daß dieses Milieu immun gegenüber nationalsozialistischer Propaganda
auch in Krisenzeiten blieb.
Niedergang der Liberalen — Aufstieg der Nationalsozialisten
Ganz anders verhielt es sich mit dem nicht konfessionell engagierten Bürgertum
. Konzentrierten sich seine Stimmen zunächst auf eine einzige Partei, die
DDP, so geht der leichte Anstieg der liberalen Stimmen in den Anfangsjahren
einher mit einer zunehmenden Zersplitterung. Neben der staatstragenden
DDP entwickelte sich zunächst die weit rechts stehende DNVP als Sammelbecken
der Monarchisten und Konservativen, die ihre Hochburgen im ostelbi-
schen Großgrundbesitz hatten. In einer stark katholischen Gegend versuchte
sie einerseits die evangelischen bürgerlichen Stimmen, vor allem die der Frauen
, andererseits die Anhänger der „Militär- und Kriegervereine" zu gewinnen.
Dies gelang jedoch nur teilweise, da die konfessionelle Bindung an das Zentrum
überwog. So erreichte die DNVP in Zell nie mehr als 81 Stimmen, obwohl
162 Einwohner (einschl. Kinder und Jugendlicher) evangelisch waren.
Auch der Militär- und Kriegerverein mit seinen 83 Mitgliedern35 sprach sich
nie eindeutig für diese Partei aus, obwohl auch er der Verfassung sehr reserviert
gegenüber stand: am 7. 5. 29 beschloß er, an den Feierlichkeiten des Verfassungstages
nicht mehr teilzunehmen, was einen Leserbriefschreiber der
„Schwarzwälder Post" dazu brachte, von einer „sonderbaren Beschlußfassung
" zu reden und zu fragen, ob eine nationale Einstellung mit monarchistischer
oder militaristischer Tendenz gleichzusetzen sei; seine Philippika gegen
diesen Beschluß gipfelt in der Behauptung, ein solcher Nationalismus sei eine
„fata morgana".36
Zwischen diesen extremen Positionen des Bürgertums entwickelten sich nun
zahlreiche kleine Parteien, die außer der DVP sich als reine Interessensparteien
verstanden. Sie waren das politische Sprachrohr enttäuschter Mittelständler,
die sich in Zell in Vereinen wie dem „Handwerker- und Gewerbeverein"
(Vors. Alfred Willmann)37, dem Bauernverein (Bezirksvors. Hermann
Kopf)38, dem Grund- und Hausbesitzerverein (Vors. Wilhelm Kornmayer)39,
der bereits 1929 zu Protestversammlungen gegen die Steuerlast aufrief, zusammenfanden
.
Mit Alexander Weber kann man also getrost behaupten, daß diese Parteien eine
Art Zwischenstation für bürgerliche Wähler auf dem Weg nach rechts darstellten
, für die die Charakterisierungen von Lipset „Extremismus der Mitte"
und von Geiger „Panik im Mittelstand" zutreffen. Die Berufe der Gründungsmitglieder
der NSDAP-Ortsgruppe sind dabei aufschlußreich: von 15
Gründungsmitgliedern sind 9 eindeutig Selbstständige, 3 leitende Angestellte
und 1 höherer Beamter.40
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