http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1990/0297
beiter hatte zumeist ein Stück Land, um ihm über die schlimmste Zeit irgendwie hinwegzuhelfen
. Arbeitslosigkeit im Handwerk spielte keine große Rolle. Es war die Fabrik, die Arbeitslosigkeit
, also nicht Not und Elend bei Arbeit, sondern Not und Elend ohne Arbeit als
Massenphänomen brachte. Und zwar nach Büß, der 1837 noch nicht die Bedeutung der zyklischen
Krisen für Deutschland erkennen konnte, Arbeitslosigkeit durch technischen Fortschritt
. Einmal durch die Maschine, die Arbeiter freisetzt, sodann — erstaunliche
Erkenntnis in dieser Zeit! - durch die Wissenschaft als Produktivkraft, durch das Eindringen
von Wissenschaft und Technik in die Industrie, und schließlich Arbeitslosigkeit durch
Bankrott von Fabrikunternehmen. In der Tat kann man die Unsicherheit der Arbeit als wichtigen
Faktor im Alltag in der hier betrachteten Zeit als Massenerscheinung und darum als
neuen Faktor im Leben einer schnell wachsenden Schicht von Werktätigen gar nicht hoch
genug einschätzen."
An anderer Stelle (339 f.) geht Kuczynski auf die Ausführung von Büß über
die gesundheitlichen Auswirkungen der Fabrikarbeit ein:
„Manches würden wir anders formulieren, manches noch hinzufügen. Aber die Grundfaktoren
sind richtig wiedergegeben. Sehr gut gleich am Anfang die Herstellung der Verbindung
der 'folternden Angst der Seele' infolge der ständigen Unsicherheit des Arbeitsplatzes mit
dem Gesundheitszustand. Sehr richtig auch, daß, selbst wenn bisweilen, ja gar nicht selten,
die gesundheitlichen Verhältnisse im 'handwerklichen Betrieb' (gemeint ist damit auch die
Heimindustrie) die gleich gesundheitsschädlich sind, der Handwerker oder Heimarbeiter
,doch auf Momente der schädlichen Einwirkung ausweichen' kann; er braucht nur 5 Minuten
in die frische Luft zu treten. Dem Fabrikarbeiter aber ist das verboten."
„Sehr richtig ist auch die Beobachtung, daß die erwachsenen Fabrikarbeiter schon deswegen
so oft in einem schlechten Gesundheitszustand sind, weil sie bereits als Kinder in Fabriken
gearbeitet haben."
,,Wie realistisch ist das Gemälde"
Auch was Büß über die Auswirkungen der Fabrikarbeit auf die Familie sagt,
findet die Zustimmung Kuczynskis (342): „Diese Sprache ist nicht unsere
Sprache — und doch wie realistisch ist das Gemälde der völlig zerstörten
Familie — mit eine der Ursachen für die 'Narkose des Branntweins'." Seine
Anerkennung erstreckt sich noch auf weitere Passagen in der Rede von Büß:
..Gut und richtig ist auch der Hinweis von Büß auf die Hoffnungslosigkeit im Leben der Fabrikarbeiter
. Als wir von der Konstituierung der Fabrikarbeiter zur Klasse handelten, sprachen
wir auch vom erblichen Proletariat, das sich allmählich herausbildete ... Erbliches
Proletariat aber bedeutet in der Frühzeit des Kapitalismus und auch später für die politisch
noch nicht aufgeklärten Arbeiter — und das war bis 1870 die überwältigende Mehrheit der
Fabrikarbeiter, wie Büß so richtig beobachtet: Hoffnungslosigkeit für die Zukunft. Das
heißt, zu der ständigen Angst vor der Arbeitslosigkeit kommt am Alltag die Hoffnungslosigkeit
, die mindestens ebenso drückend und den Alltag verdüsternd ist. Schließlich beunruhigt
Büß in diesem Zusammenhang 'die Selbstaufreibung in den Freuden zügelloser Geschlechtslust
' — eine durchaus berechtigte Beunruhigung, nur hätte er nicht nach Lyon zu weisen
brauchen, er hätte ebenso gut deutsche Fabriken und Fabrikstädte als Beispiel geben
können."
Auch was Büß über die neue Leibeigenschaft ausführte, fand bei Kuczynski
volle Anerkennung: „Wiederum überrascht die Einsicht in die Stellung des
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