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schienen alle die genannten Richtungen hinauszulaufen - nach überzeugenden
Beispielen suchten, an denen die Einheit von Glauben und politischer
Klugheit, von ethischer Bindung und effizienter Staatsführung demonstriert
werden konnte und diese Beispiele in einigen Königsfiguren der biblischen
Chroniken fanden. So hatte schon vor ihm Johann Balthasar Schupp, auch
er einer der großen Moralisten und Satiriker des Jahrhunderts, in seinem
,Salomo Oder Regenten-Spiegel vorgestellt aus denen eilff ersten Capituln
des ersten Buchs der Königen: Andern Gottsfürchtigen und Sinnreichen Po-
liticis außzufüren und genawer zuelaboriren überlassen' (1653) einen ähnlichen
Versuch unternommen.15
Es waren beileibe keine akademischen Fragen, die da verhandelt wurden.
Die Theoretiker, Machiavelli, Botero, Lipsius, man könnte auch Jean Bodin
mit ,De la Republique' (1576, in deutscher Übersetzung 1611) und andere
hinzufügen, zogen die Konsequenzen aus bitteren historischen Erfahrungen,
aus dem Chaos der Bürgerkriege im Italien des ausgehenden Mittelalters,
in Frankreich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in den Niederlanden
ab 1568. Die radikale Schärfe des Parteienstreits war gerade dadurch
entstanden, daß absolut gesetzte religiöse Ansprüche in politische und militärische
Aktionen umgesetzt werden sollten. Die neuen Theorien bereiteten
dem Absolutismus die Bahn, der sich zwar auch noch durch das Gottesgna-
dentum des Herrschers legitimierte, aber Konfessionen und religiöse Überzeugungen
der Untertanen als eine Angelegenheit außerhalb der Sphäre des
Politischen ,als privatum' ansah.
Die Widmung Grimmelshausens an einen Angehörigen des ritterschaftlichen
Landadels gewinnt unter diesem Gesichtspunkt ihren Sinn. Die Familie
von Crailsheim spürte nicht anders als die Ortenauer Geschlechter der
Reichsritterschaft den gewaltigen Sog, der von der absolutistischen Staatsform
ausging, wie sie mustergültig im Frankreich Ludwigs XIII. und XIV.
zutage trat. Sie ahnte, daß ihre Herrschaft ein Opfer der Nivellierungsten-
denz der absolutistischen Mächte werden könnte. So hatten einige der Herren
von Crailsheim schon zu Beginn des Jahrhunderts religiöse Richtungen
innerhalb des Luthertums unterstützt, welche die Machtansprüche der Landesfürsten
einzuschränken suchten und zwar auf dem Gebiet des Landeskirchenregiments
. Einige der Herren von Crailsheim waren Flacianer, nach
Matthias Flacius Illyricus (1520—1575) benannt, oder sogenannte Gnesio-
lutheraner. Sie hatten Pfarrer dieser streng lutherischen, sich von dem Humanismus
Melanchthons abgrenzenden Richtung in Pfarreien ihrer
Herrschaft eingesetzt.16 Wie weit das auch für Krafft von Crailsheim gilt,
muß noch geklärt werden.
Die Herren von Crailsheim und die Ortenau
Klar ist jetzt schon, daß Grimmelshausen nicht unbedingt nach Crailsheim
oder nach Feuchtwangen, dem Amtssitz Kraffts von Crailsheim, reisen
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