http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1991/0273
Ihre Aufnahme und Duldung ist der Zulassung zahlreicher Juden und der
Ansiedlung sozialer Randgruppen in benachbarten ritterschaftlichen Gebieten
vergleichbar. Zur Stärkung ihrer Finanzkraft akzeptierte die Ritterschaft
die unterschiedlichsten Personengruppen, vorausgesetzt sie konnten die geforderten
Abgaben und das Schutzgeld aufbringen. Fragen der Konfession,
des Berufes oder des sozialen Status spielten hierbei so gut wie keine
Rolle.81
Dem Aufenthalt der Wiedertäufer auf dem Hofgute liegen nicht nur ökonomische
Motive oder eine gewisse religiöse Toleranz zugrunde. Politisch interpretiert
ist die Präsenz jener evangelischen Sekte die demonstrative
Behauptung einer ..Teilsouveränität", die sich im Selbstverständnis der Hofbesitzer
aus der auch der Reichsritterschaft im Religionsfrieden 1555
zuerkannten Libertas confessionis ableitete. Weder bei dem letzten evangelischen
Eigentümer des Hofes noch bei seinen katholischen Vorgängern lassen
sich Versuche kirchlicher Reglementierung und religiöser Einflußnahme
durch das benachbarte Baden oder die kaiserliche Autorität erkennen.
Zu keiner Zeit erfolgten Eingriffe in das innerkirchliche Leben des Hofes,
auch wenn die Verhältnisse sich im Grunde unter keine der Religionsvereinbarungen
subsumieren ließen.
Die Aufnahme und Duldung von Wiedertäufern machte einen nicht unbeträchtlichen
Teil der Bewohner von der ,,kirchlichen" Protektion des Hofherren
ohne Einspruchsmöglichkeit von außen abhängig. Damit hatte der
Ottenweier Hof faktisch ein kirchenherrliches Regiment errichtet, das ohne
schriftliche Fixierung einer Kirchenordung das Leben des wiedertäuferischen
Gemeindeteiles durch Handhabung von Protektion, Duldung und
Ausweisung zu reglementieren imstande war.
Im Gegensatz zu den großen protestantischen Territorien, die über ihre Untertanen
gleicher Konfession die volle Verfügungsgewalt besaßen, waren
hier die Grenzen viel enger gezogen. Dort, wo die wiedertäuferischen Meier
in ihrer Eigenschaft als Vorgesetzte katholischer Bewohner des Hofgutes
letztere zur Übertretung der Kirchenzucht veranlaßten, wurden trotz der
Proteste der Hofeigentümer über sie Strafen verhängt und eingezogen.82
3. Festigung und Ausbau der reichsritterschaftlichen Stellung
Dem Bestreben, landeskirchliche Unabhängigkeit mittels konfessioneller
Freizügigkeit bei der Unterstützung religiöser Sondergruppen zu behaupten
, ging eine Auflehnung gegen landesherrliche Eingriffe in bezug auf
weltliche Rechte parallel. In zahlreichen Ansätzen suchten die Hofbesitzer
bis zur Mediatisierung sich gegen vielerlei Angriffe auf das, was sie für ihre
reichsritterschaftliche Landeshoheit hielten, zur Wehr zu setzen. Daß dies
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